Der Schweinfurter Bürgeraufstand
nach Johannes Nibling (1463 - 1526), Mönch zu Ebrach
Übersetzt aus dem Lateinischen
"Die Auseinandersetzung zwischen dem Rat und den Bürgern von Schweinfurt im Jahre Christi 1513
Im Jahr des Herrn 1513 erregten sich die Bürger und Einwohner der Reichsstadt Schweinfurt gegen den Rat dieser Stadt, indem sie sich über neue Auflagen des Rates und über früher nicht erhörte
Beschwerden wegen Steuern wunderten, die für Wein und Getreide aufzubringen waren, wie sie vom Bürgermeisteramt guten Sinnes zur Förderung und Erhaltung des Gemeinwesens und zur Tilgung sehr
vieler Schulden auferlegt waren.
Und obwohl die Bürgerschaft vorgenannter Stadt Schweinfurt und in der Gemeinschaft des Gemeinwesens verständige und kluge Männer waren - einge davon fälschlicherweise klug genannt, weil sie
keinen Weitblick hatten -, fielen die Einwohner sämtlich einmütig wider allen Gehorsam den rat mit Gewalt an. Unversehens und gebieterisch steigen sie auf das Rathaus hinauf, ohne dass es der Rat
wusste, verlangten von diesem die Amtsbücher und hielten einige (Ratsherren), die sie ergreifen konnten, als Gefangene eine Zeit lang fest.
Einige vom Rat, begünstigt durch Glück und von der Bedachtsamkeit verschiedener Männer , entkamen auf verschiedener Weise und auf verschiedenen Wegen aus der Stadt. Inzwischen regierten die
Einwohner und die gemeine Bürgerschaft die Stadt, erließen neue Gesetze, teilten die Stadt Schweinfurt in vier Stadtteile und setzten sich an die Spitze jedes Viertels einen aus der Bürgerschaft
als Vorsteher, der Viertelmeister genannt wurde. Desgleichen ordneten sie an, dass der Rat die Stadt nimmermehr allein regieren sollte, falls nicht einige aus der Bürgerschaft eigens dazu
Abgeordnete zugezogen und mit Vertrauen beisitzen würden.
Dieser Aufstand der Einwohner gegen den Rat dauerte ein Jahr. Inzwischen versuchte der durchlauchtige Fürst Graf Wilhelm von Henneberg, gestützt auf den Auftrag des Römischen Königs und Kaisers, als Schutzherr und Reichsvogt der Stadt Schweinfurt und ihrer Bewohner auf verschiedene Art und Weise Friedensmittel, wobei er mehrere Male persönlich innerhalb eines Jahres im Schweinfurter Rathaus weilte. Er bemühte sich aufs angelegenlichste, dass auf Befehl des Kaisers die Herrschaft nur allein in der alten Form beim Rat verbleibe und dass die für die Zwietracht Verantwortlichen bestraft würden.
Aber jene gemeine Bürgerschaft widersprach so lange mehr und mehr in einer pharaonischen Verhärtung den Befehlen des Kaisers trotz Belehrungen und Ermahnungen des Grafen und Schutzherren, bis
der oben genannte Graf von Henneberg mit vierzig wohlbewaffneten Reitern auf Befehl Kaisers Maximilians im Jahre des Herrn 1514 am tag des heiligen Burkhard (1514 X 14) in Schweinfurt einzog. Er
erhielt mit Billigung und auf Befehl des Kaisersvon den durchlauchtigen Fürsten von Sachsen, ebenfalls vom Markgrafen (von Brandenburg) und vom Herrn Bischof von Bamberg zweihundert
kriegstüchtige Reiter und nur zweihundert Lanzenträger, um die zu bestrafen, die solches in der Gemeinde angezettelt hatten.
Wie listig aber und klug der vorgenannte Fürst die so zugeteilten Reiter und Fußsoldaten nach Schweinfurt hineinführte, dass keiner aus der Bürgerschaft sich verteidigen oder zu den Waffen
eilen konnte, - dennoch mit Zustimmung des Rates - das erkenne man aus dem unten folgenden:
Am Tag des heiligen Burkard im oben genannten Jahr des Herrn zog der erwähnte Fürst Wilhelm von Henneberg mit vierzig Reitern auf listige Weise in die Stadt Schweinfurt ein, indem er vorgab,
in den Händen jener Stadt mit Rat und Bürgerschaft schlichtend zu verhandeln, wie er es vorher mehrmals getan hatte. Aber der Rat wusste um die Absicht des Fürsten, denn der führte alle
Einzelheiten mit Ratschlag und Zustimmung des Rates aus, wenn auch sehr geheimnisvoll. Der Fürst erließ am tage seines Einzuges in die Stadt den unwiderruflichen Befehl: Es sollten alle sowohl
vom Rat als auch von der Bürgerschaft am andern Tage ihre einzelnen Geschäfte hintanstellen und sich morgens zur sechsten Stunde unverzüglich im Rathaus einfinden.
Zu diesem Rathaus führt der Weg über viele hohe Stufen, und leicht können im Rathaus viele durch wenige bewacht werden, damit sie nicht vom Rathaus herabsteigen. Als nun das ganze Volk,
Greise und Jünglinge, Männer, auch der Rat, im Rathaus zur sechsten Stunde jenes Tages versammelt waren, stiegen Fürst Wilhelm von Henneberg und mit ihm der Graf von Gleichen und andere edle
Herren zum rathaus hinauf, als ob sie einiges zu besprechen und über das Gemeinwesen jener Stadt und über Frieden und Ruhe sowohl des Rates als auch der Bürgerschaft verhandeln wollten. Sobald
aber der Fürst zum Rathaus hinaufgestiegen war, gab sein Trompeter vor dem Vogt ein lautes Zeichen, dadurch, dass er schrie und zum Kampf rief, dann auch in Haus und Herberge des Fürsten, die "in
der Vogtei" genannt wird. Sein Anhang, vierzig Personen, wohlbewaffnet,eilte mit ungestümen Anlauf zu den Rathausstufen, umzingelte den Marktplatz und ließ niemanden vom Rathaus
herabsteigen.
Eilends wurde mit Hilfe und auf Verfügung des (alten) Rates durch das Tor, das "Brückentor" genannt wird, hundert wohlbewaffnete, vorher aufgestellte Anhänger hineingeschickt und durch das andere Tor - "Spitaltor" - ebensoviele Reiter und zweihundert ländliche Lanzenträger. Diese kamen mit solchem Lärm heran und jagten den im Rathaus stehenden Einwohnern, die sich weder selbst verteidigen wollten noch vom Rathaus herabsteigen konnten, höchste Furcht ein, weil alle Straßen und Plätze voll von Waffenträgern waren.
Dann ließ der Fürst, nachdem er sich vorher über die gut unterrichtet hatte, die eine solche Störung in der Bürgerschaft angezettelt hatten, indem er diesen ihr Vorgehen vorwarf, sieben aus
der Bürgerschaft an einen Wagen gebunden zu seinem Schloß Mainberg nahe bei Schweinfurt bringen; auch ließ er sechzehn andere gefangene Männer aus der Bürgerschaft in Fesseln in den Keller
werfen. Der nämliche Fürst blieb aber mit einzelnen Waffenträgern und Landsknechten in der Stadt bis zum achten Tag danach und, nachdem er genau erfahren hatte, wer diesen Aufstand und diese
Auseinandersetzung angezettelt und andere zum Rebellieren verleitet hatte, ließ der Fürst auf dem Marktplatz ein Gerüst errichten, auf dem am Fronleichnamstage in dieser Stadt mit größtem
Gepränge und Schmuck Reliquien nach dem Mittagsmahl jährlich zur Schau gestellt wurden. Darauf ließ er vier von der Bürgerschaft führen, die an einem Tage, nachdem die Stadttore geschlossen
worden waren, entsprechend dem Urteil auf Abschlagen des Kopfes öffentlich gestraft wurden. Die Köpfe der so Enthaupteten hingen aber eine Zeit lang auf Pfählen auf der Stadtmauer zum
öffentlichen Anblick. Und so wurden durch Blutvergießen nachher Friede und Eintracht in vorgenannter Stadt wieder hergestellt, welche die fromme Ermahnung des oben berührten Fürsten nicht hatte
schaffen können. Die Namen derer, die am selben Tage enthauptet wurden, sind: der Erste: Meister Philipp, Steinmetz; der Zweite: Valentin Braun; der Dritte: Stumpf, Bäcker; der Vierte: Erhard,
Büttner.
Anmerkung: Ein Hauptschuldiger unter ihnen entfloh nach der Enthauptung der vorgenannten, genannt Kunz Kaufmann, wurde aber in Bamberg ergriffen und nach Anklage vieler seiner Mitbürger
ebendort geköpft. Geschehen ist dies oben erzählte im Jahr des Herrn 1514.
Desgleichen wurde einer vom Rat auch gefangen, aber auf Bitten hin wieder freigelassen; er gab nämlich als Strafe vierhundert Gulden und wurde gezwungen, für die restlichen Tage seines Lebens
in einem grauen Rock herumzulaufen; auch durfte er sein Leben lang sich nicht mehr die Haare schneiden und den Bart scheren und die Stadt nicht verlassen, es sei denn zu seinen eigenen
Weinbergen.
Ein Mitwisser der Tat, genannt Johannes Mey, Barbier, nahm, da er durch Gnade frei wurde, die Strafe an, am Donnerstag jeder Woche, während am Morgen die Fronleichnamsmesse gesungen wird, im öffentlichen Umzug des ehrwürdigen Sakramentes zur Verehrung dieses Sakraments in Lumpen zu singen, bis er durch Alter, Leibesschwachheit oder durch die Natur daran gehindert werde; denn es ist besser, jede Woche vor dem ehrwürdigen Sakrament in Lumpen zu singen als einmal dem Henker zur Enthauptung den Hals hinzuhalten.
Aber ob des vorgenannten Fürsten Wilhelm Urteil auf Enthauptung der vorbeschriebenen Schweinfurter so, wie es vollstreckt wurde, gerecht war? Jedenfalls konnte der Vollstrecker jenes Urteils,
der Henker, durch Furcht und Schrecken bestürzt, keinem von ihnen mit einem Hieb den Kopf abschlagen, sondern hieb die Köpfe mit vielen Streichen ab, gleich wie ein Schinder Fleisch
zerteilt."
Historische Würdigung des Berichtes
Die Ausführungen des Möches Johannes Nibling sind vom damaligen obrigkeitshörigen Denken geprägt und werden vielleicht der tatsächlichen Intention des damaligen Aufstandes in keiner Weise
gerecht. Die Aufständigen selbst haben keine Aufzeichnungen hinterlassen, vielleicht auch, weil sie des Schreibens nicht mächtig waren.
Niblings Ausführungen weichen auch in einigen Punkten von den bekannten Chroniken wie die von Mühlich und Hahn ab. Nibling benennt die Fürsten von Sachsen und Brandenburg, den Fürstbischof
von Bamberg und den Grafen Gleichen. Mühlich und Hahn nennen in ihren Chroniken den Fürstbischof von Bamberg, den Markgrafen von Brandenburg und den Fürstabt von Fulda. Letztere sprechen vom
Einmarsch in die Stadt am 13. Oktober 1514, Nibling vom 14. Oktober 1514. Mühlich und Hahn geben bei den enthaupteten Anführern des Aufstandes zwei abweichende Namen an; diese nennen nämlich
Philipp Horst, Steinmetz; Valentin Braun, Schneider; Albert Apel, Büttner und Klaus Rudolf, Häcker.