Die letzte "Hexe" in Schweinfurt anno 1723
Unter Zugrundelegung eines Aufsatzes Oberstudienrat Richard Rösel
Das war die cause célèbre (große Rechtsstreitigkeit) in Schweinfurt anno 1723: "Wird sie verbrannt oder nicht, die zu jener Zeit 21jährige Maria Susanne L. ? Den Nmen könnte man eigentlich nennen, da sie ja vollstänig regabilitiert wurde und erst ca. 60 Jahre später, laut Kirchenbuch am 28. Oktober 1782, als Witwe des Konditors und Spezereihändlers Johann Kaspar Fischer im gottgesegneten Alter von fast 81 Jahren verstarb. Aber nach guten alten Brauch bringen wir, da das Adressbuch noch Träger dieses Namens ausweist, den Anfangsbuchstaben, oder benennen sie mit Thomasius die Lampin. Sie wurde also nicht verbrannt, und das hat sie eben diesem Christian Thomasius, der großen Geistesleuchte an der Universität Halle, der ja viele "Zöpfe" abschnitt in deutschen Landen, einer der größten Kulturförderer des 18. Jahrhunderts war, und der vor allem beim Hexenwahn und den Hexenprozessen ein Ende machte, da wo man seine Stimme vernehmen wollte.
Da der Chronist Beck von diesem Fall so wenig berichtet wie der Chronist Stein, wird dies hier ausführlicher erläutert. Die Lampin wurde beschuldigt, sie hätte sich mit dem Teufel eingelassen und hätte auch noch eine andere "Weibsperson" (Thomasius nannte sie "Fleischerin") verführen wollen, die dann 14 Tage des Teufels sein sollte. Davor sollte sie einen flanellenen Rock bekommen. Auch habe man des öfteren einen Drachen durch den Schornstein des Lampischen Hauses - der Vater Lamp war Nadlermeister - ein- und ausfahren sehen, "und es sei bekannt, dass der Satan sich in eine Schlange oder einen Drachen verstelle, wenn er bei seinen Zauberern Einkehr halte". Das behauptete zumindest der damilige Ratskonsulent der Stadt, Herr Dr. Johann Michael T.
Diese andere Dame, die als "Fleischerin" bezeichnet wurde, wurde schließlich mit der "Lampin" konfrontiert und blieb bei ihrer Aussage - sie war wohl die Hauptbelastungszeugin. Auf die Frage, ob sie mit gutem Gewissen eidlich erklären könne, dergleichen Worte niemals gegenüber der "Fleischerin" gebraucht zu haben, antwortete die "Lampin": Mit gutem Gewissen kann ich solches wohl sagen, aber einen Eid wolle sie wegen solchen Unsinns nicht schwören. Die Zeugin hingegen beschwor die Richtigkeit ihrer Aussage. Dem Schweinfurter Rat war diese Angelegenheit höchst unangenehm; es war wohl so, dass die große Mehrheit dr Ratsmitglieder über derartigen Hexenwahn erhaben war und im "Innern Rat" saß seit 1712, seit 1720 als Bürgermeister der sehr belesene und gebildete Dr. Johann Kaspar Fehr, Stadtphysikus, der sich auch in seiner Ratsstellung als Bauherr sehr verdient gemacht hatte (die steinerne Brücke über den Stadtgraben am äußeren Obertor), zudem er auch Mitglied der von seinem Vorgänger begründeten Akademie der Naturforscher (Leopoldina) war und als solches gewiss nicht an Hexen glaubte.
Wie immer in schwierigen oder heiklen Fällen wandte der Rat sich an die Juristische Fakultät einer auswärtigen Universität. Diese Fakultät entschied, die Lampin sei von der Inquisition zu entbinden, sofern sie auf vorhergehende ernste Verwarnung vor Meineid in Anwesenheit eines Geistlichen sich mittels Eides reinige. Das aber wollte die Lampin nicht während die Belastungszeugin bei ihrer beschworenen Aussage blieb. Daraufhin forderte der schon hochbetagte Konsulent Dr- T. die Weiterführung dieses Prozesses und die Verurteilung der Lampin zum Feuertod, wie es die "peinliche Halsgerichtsverordnung Karls V." vorschriebe. Somit sah die Angelegenheit für die Lampin äußerst ernst aus. Ihr Verteidiger, dessen Name unbekannt ist, stellte nun den Antrag, eine neue Entscheidung bei der juristischen Fakultät in Halle einzuholen, die dann der damals 68-jährige Christian Thomasius zu liefern hatte.
Das Gutachten des Christian Thomasius war für die Anklage vernichtend: Es gibt keine Hexen und keine Hexerei. Das sei nichts als ein Wahn und der Lampin Vater L, der Nadlermeister, könne jederzeit wegen der ihm und seiner Familie zugefügten Rufmord und der in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten den Herrn Richter vor dem Kaiserlichen Reichs-Hof-Rat in Wien belangen und sei berechtigt, Entschädigung und Entschuldigung zu fordern.
Das schlug in Schweinfurt ein wie eine Bombe, denn es handelte sich um ungewöhnlich deutliche Worte, wie sie zu jener Zeit nicht selbstverständlich waren.
Mit dem "Richter" meinte Thomasius den Ankläger Dr. Joh. Michael T., Ratskonsulent der Stadt, der den Prozess eingeleitet hatte und auch weiter hartnäckig daran festhielt. Die Hexe müsse verbrannt werden, meinte er, denn die L. weigere sich, den Reinigungseid zu schwören und sei damit schuldig. Er kritisierte das Gutachten des Thomasius als eine Einzelmeinung ohne Relevanz.
Thomasius reagierte: Er gab nämlich 1723 und 1724 seine "Ernsthaften, aber doch munteren und vernünftigen Gedanken und Erinnerungen über allerhand juristisches Händel" heraus. Dieses Werk, das etwa 1500 Seiten umfasste diente fortan in deutschen Landen als Fundgrube des gesunden Menschenverstandes und behandelt - mit althergebrachten Vorurteilen und dem Aberglauben abrechnend - alle möglichen umstrittenen Fälle wie z.B. :
"Von Verwandlung des Staupenschlages in eine geringere Strafe"
"Von ungleicher Heirat zwischen Fürsten und geringen Weibspersonen"
"Von falschen Denunzierungen unschuldiger Leute"
"Verlarvter Hass zwischen Richter und Advokaten"
"Ob ein Lutheraner, wenn er katholisch wird, die Seligkeit verliere (Antwort: nein!)"
"Ob und wie weit Söhne von Komödianten, Hanswürsten, Scharfrichtern zu akademischen Würden zuzulassen sind"
Im ersten Teil wurde dabei der hier geschilderte Fall der "Lampin" behandelt; er behandelt das nicht ganz offen, denn statt Schweinfurt schreibt er "Zankfurt" mit dem Hinweise, dass diese Stadt eine "Reichsstadt im Obern Deutschland" (Süddeutschland) sei und eine Nachbarstadt habe, die mit "W" anfange, wo ein Bischof herrsche, sodass dieser Fall eindeutig zuzuordnen war. Dabei wurde der Schweinfurter Konsulent und Ankläger so richtig bloßgestellt.
Dieser wurde natürlich unverzüglich aktiv und verfasste eine 45-seitige Gegenschrift mit dem Titel: "Unvernunft der Thomasischen Gedanken und Erinnerungen über allerhand gemischte juristische Händel auf Veranlassung der in selbigen in Sonderheit wider den Herrn Consulenten und ganzen wohllöblichen Rath einer Oberländischen Reichsstadt vorkommenden groben unverschämten und injurösen Expressionen. In einem Gespräch gezeigt von Joh. Niclas Saltzmann aus Franken anno 1724." - Saltzmann ist natürlich niemand anderes als der Schweinfurter Konsulent selbst. Offiziell sollte das eine Satire gegen Thomasius sein, war aber nichts anderes als ein mit Unverschämtheiten gespicktes Werk gegen den Gelehrten aus Halle.
Es nützte nichts: Sieger blieb Thomasius, dessen Meinung der Schweinfurter Rat sich anschloss. Zu bedenken ist dabei, dass der Konsulent - laut Kirchenbuch verstarb er am 3. April 1727 im Alter von 77 Jahren - zur Zeit der Auseinandersetzung schon 73 Jahre alt war und somit kurz nach dem 30jährigen Krieg aufwuchs in einer Zeit des tiefsten und abgründigsten Aberglaubens.
Was wurde aus der Genugtuung des Vaters? Er erhielt sie tatsächlich, wenn auch nicht auf die Art und Weise, die Thomasius als möglich erachtet hatte. Nein, er wandte sich nicht an den Hofgerichtsrat in Wien sondern belangte seinen Konkurrenten, den Nadlermeister N. wegen übler Nachrede. Dazu gibt es ein Ratsprotokoll vom 31. Januar 1726: "Auf das von Meister Johann Heinrich L., Nadler, gegen Meister N., Nadler, puncto iniuriarum eingegebene Memoriale ist Bescheid, daß Meister N. hierauf befindenden Dingen nach exemplarisch bestraft werden solle mit dem ernsten Beifügen, daß er sich aller Anzüglichkeiten gegen die B. sowohl allhier als außerorts bei Vermeidung harter obrigkeitlicher Ahndung enhalten solle!"
Es gibt jedoch ein weiteres Protokoll zur Lampin aus der Vorzeit dieses Prozesses. Das Mädchen ging offenbar ein Zeit lang mit einem Gold- und Silberarbeiter Johann Georg Schr., wollte diesen dann jedoch nicht heiraten. Da verklagte sie dieser beim Rat - man überlege sich, womit sich der Stadtrat damals alles befassen musste - wegen Bruch eines Eheversprechens, was sehr selten geschah. Der Prozess endete mit einem Vergleich: die L. wurde ihres Eheversprechens entbunden, ihr Vater jedoch mit den Verfahrenskosten belastet. L. heiratete schließlich einen Konditor. Liebe geht halt doch durch den Magen.
Das war also der letzte einer Reihe von Hexenprozessen in Schweinfurt, die immer wieder von 1616 - 1723 betrieben wurden. Verbrennungen sollen nur zweimal stattgefunden haben, jedoch nie bei lebendigem Leibe. Das geschah draußen an der Haardt. 1626 wurde ein Hexerich verbrannt, nachdem er zuvor bereits durch den Galgen hingerichtet worden war und 1671 eine Hexe, die zuvor im Gefängnis verstorben war. Insgesamt folgten die Schweinfurter dem Hexenwahn, wie man ihn in Bamberg, Würzburg oder Gerolzhofen kannte, nicht.