Die letzten Kriegstage in Schweinfurt

Kriegszerstörungen in Schweinfurt mit Blick auf den früheren Feuerwehrturm, der einst neben dem Zeughaus in der Bauerngasse stand
Kriegszerstörungen in Schweinfurt mit Blick auf den früheren Feuerwehrturm, der einst neben dem Zeughaus in der Bauerngasse stand

Am 11. April 1945 wurde die Stadt Schweinfurt von amerikanischen Truppen besetzt. Die Stadt Schweinfurt war nach vielen Bombardements zu diesem Zeitpunkt bereits ein großer Trümmerhaufen. Zu einer ernsthaften Gegenwehr war die Stadt nicht mehr in der Lage.

 

 

 

Hier werden die letzten Tage vor der Einnahme kurz skizziert.

Die amerikanischen Heeresverbände waren Anfang April 1945 über Aschaffenburg zunächst in den Bereich nördlich von Schweinfurt über die Rhön einmarschiert. Dann hieß es jedoch: "Der Marsch nach Schweinfurt beginnt!"

Zuvor hatte letztmals der Bombenangriff vom 09. Oktober 1944 erhebliche Schäden in Schweinfurt verursacht. Die Schweinfurter Zeitung hatte dazu folgenden Kommentar abgegeben: "Wohl ein dutzendmal hat der Feind seit dem 17. August 1943 seine Bomben auf Schweinfurt geworfen. Die Stadt der Arbeit und des Fortschritts, der grünen Gärten und der anmutigen Weinberge ist zu einer Frontstadt des Krieges geworden, immer gegenwärtig, den Vernichtungswillen des Feindes auf sich zu ziehen. Auch der Luftangriff vom 09. Oktober 1944 war ein Glied in der Kette des anglo-amerikanischen Zerstörungswahnsinns. Wieder haben Hunderte von Terrorbombern, unter dem Schutz einer geschlossenen Wolkendecke und aus 6000 bis 7000 Metern Höhe angreifend, planlos ihre Bomben auf die Stadt und ihre Umgebung geworfen. Zahlreiche Wohnstätten der schaffenden Bevölkerung wurden zerstört.Wenn dabei auch die letzte, bisher verschont gebliebene Kirche, nämlich St. Kilian, durch einen Volltreffer schwer beschädigt wurde, so rundet dies das Bild von der Terror-Absicht des Feindes ab. Leider hat der Angriff auch wieder einige Opfer unter der Bevölkerung gefordert. Wenn sich die Zahl der Toten in engen Grenzen hält, so empfinden wir doch den tiefen Schmerz, der alle jene ergriffen hat, die ihr Liebstes unter den Trümmern des Bombenhagels begraben haben." Soweit das damalige Parteiorgan der NSDAP in Schweinfurt, das jedoch trotz der unkritischen Haltung gegenüber einer eigenen fatalen und größenwahnsinnigen Politik, die diese Leiden letztendlich verursacht hat, einen Einblick in die damalige Situation gibt.

Zerstörungen im Bereich der Johanniskirche
Zerstörungen im Bereich der Johanniskirche
Blick vom Rathaus Richtung Spitalstraße...
Blick vom Rathaus Richtung Spitalstraße...

Durch Goebbels Ausruf des letzten Wahnsinns, des "totalen Kriegs", hatten auch alle Jungen und die verbliebenen Männer in Schweinfurt an Abenden und des Sonntags zu Übungen aufzumarschieren. Statt Gottesdienst in der Kirche rief die NSDAP den "Gottesdienst der Tat" aus und versuchte noch in den letzten Kriegswochen die verbliebenen Jungen und Männer ideologisch und auf einen selbstmörderischen "totalen Krieg" auszurichten.


 

 

 


Der damals 14-jährige Schweinfurter Willi Sauer hat für den Zeitraum vom 1. April bis zum 11. Mai 1945 Tagebuch geführt, das in den 80er Jahren im Schweinfurter Tagblatt veröffentlicht wurde. Es liest sich wie folgt:

Ostersonntag, 01. April

Durch Mundpropaganda werden wir verständigt, dass auf Grund der Kriegslage - der Feind soll uns schon sehr nahe gekommen sein - um 17 Uhr in der stark beschädigten St. Johanniskirche die Konfirmation mit Beichte und Abendmahl stattfindet, wobei Dekan Fabri und Pfarrer Schorr ihre Konfirmanden zusammenlegen. Während Dekan Fabri die Hostien austeilt und Pfarrer Schorn mit dem Kelch folgt, hören wir Fliegergebrumm und Flakfeuer. Nachdem der Feind jetzt die völlige Luftherrschaft besitzt, haben wir ganztägig Voralarm, d.h. wir sind ständig in Gefahr. Unsere Konfirmation haben wir aber trotzdem heil überstanden.

Ostermontag, 02. April

Zu meiner Konfirmation bekomme ich viele Karten, 115 RM, drei Blumenstöcke, zwei Bücher und eine Armbanduhr, die mein 1940 gestorbener Großvater kurz nach Kriegsausbruch noch besorgt hat. Zum Mittagessen ist Frau R., eine Nachbarin, bei uns. Nachmittags werde ich von Fräulein D. im Garten fotografiert.

Dienstag, 03. April

Mein Vater muss nach Eger zu den Landesschützen einrücken, nachdem ihm der Kreisleiter wegen meiner Konfirmation noch ein paar Tage Aufschub gewährt hat. Um halb sechs Uhr verlässt er uns. Wann werden wir ihn wohl wiedersehen?

Mittwoch, 04. April

Die Amerikaner stehen bei Lohr und Gemünden. Die Mainbrücken werden zur Sprengung hergerichtet.

Donnerstag, 05. April

Gerüchte durcheilen die Stadt. Der Feind soll schon bei Kitzingen und Gerolzhofen stehen. Viele Leute verlassen die Stadt.

Freitag, 06. April

Der Kreisleiter (Weidling) gibt im örtlichen Rundfunk bekannt, dass bei Feindannäherung fünf Minuten Fliegeralarm gegeben wird. Dieser "Panzeralarm" ist aber niemals erfolgt. Außerdem solle die Jugend von 14 bis 17 Jahre fortkommen, angeblich auf vor Flieger sicheren Wegen an vor Flieger sichere Orte. Sowas gibt's doch schon lange nicht mehr! Ich gehe auf keinen Fall fort von hier.

Samstag, 07. April

Ich habe heute meinen 14. Geburtstag. Der Feind steht wenige Kilometer vor der Stadt. Der Flugplatz wird gesprengt. Die feindliche Artillerie beschießt den Westteil der Stadt, hauptsächlich die Gegend des Hauptbahnhofs und der Gelatine-Fabrik. Wir gehen mit der ganzen Nachbarschaft in den Keller der Gastwirtschaft "Linde". Auf wie lange wohl?

Sonntag, 08. April

Tiefflieger vernichten die Flak bei Deutschhof. Die Artillerie beschießt jetzt auch den Stadtbahnhof und den Ostteil der Stadt. Während einer Feuerpause verlassen wir den Keller, um die Frühlingssonne zu genießen. da gerät eine Nachbarin mit einem Nachbarn, der Parteigenosse ist, in Streit. Der Sohn der Frau ist vermisst und sie hält dem Mann vor: "Unsere Buben fallen und wissen nicht, wofür!" Da braust der PG auf: "Jetzt lassen wir mal die Tatsachen sprechen. Wer hat den die Arbeitslosigkeit beseitigt? Wer hat.....?"

Montag, 09. April

Die ganze Stadt liegt unter feindlichem Artilleriebeschuss. In der Bauerngasse schlagen Granaten ein.

Dienstag, 10. April

In der letzten Zeitung lautete die Schlagzeile: "Kapitulation? - Nein, wir ersticken vor Haß!" Im Aufruf der Kreisleitung heißt es: "Jedes Haus eine Festung!" Außerdem ruft der Kreisleiter die Bevölkerung auf, jeder solle sich vornehmen, einen Panzer zu knacken und zehn Feinde umzulegen. Nachdem also keinerlei Anstalten getroffen werden, die Stadt zu übergeben, führt der Feind drei schwere Bombenangriffe gegen die Stadt. In unseren Hof fällt eine Bombe, der Anbau ist zerstört, das Haus schwer beschädigt.

Mittwoch, 11. April

Nach kurzen Straßenkämpfen - am Vormittag war MG-Feuer aus Richtung Steinstraße zu hören - wird Schweinfurt von den Amerikanern eingenommen. Als wir mittags den Keller verlassen, sehen wir die ersten amerikanischen Soldaten, wie sie Häuserzeile am Zeughausplatz Richtung Manggasse entlangpirschen, in jeden Hauseingang ihr Gewehr halten und und dabei ausrufen: " Daitsche Soldatt!" Aber da waren schon lange keine mehr. Wir wurden aufgefordert, zum Zeichen der Übergabe alle Häuser weiß zu beflaggen, was wir mit Betttüchern bewerkstelligten. Angeblich werden Häuser ohne weiße Fahnen in die Luft gejagt. Auf dem Heimweg sehen wir einen rastenden Trupp amerikanischer Infanterie mit Granatwerfer. Wir schauen uns im Vorübergehen an und keiner nimmt Notiz vom anderen. Die Nacht verbringen wir sicherheitshalber nochmals im Linden-Keller, vielleicht gibt's doch noch deutsche Gegenstöße?

Einmarsch der amerikanischen Truppen am 11. April in Schweinfurt in der Ludwigstraße entlang der Ludwigschule
Einmarsch der amerikanischen Truppen am 11. April in Schweinfurt in der Ludwigstraße entlang der Ludwigschule

Donnerstag, 12. April

Wir beginnen mit dem Schutträumen in Haus und Wohnung. Plötzlich ruft eine Nachbarin zu: "Geht sofort in den Keller, auf der Straße treiben sie die Frauen zusammen!" Nachdem wir eine Zeitlang im Keller sind, nichts sehen, nichts hören, packt Mutter die Neugier. Wir schleichen in den ersten Stock und lugen vorsichtig aus dem Fenster. Da merken wir, dass noch mehr Leute aus ihren Fenstern schauen, außerdem ist nur ein einziger bärtiger Amerikaner zu sehen, der Befehle brüllt und mit dem großen Revolver in der Hand herumfuchtelt. Mutter ruft ihm zu: "Proklamation?" Das versteht er, erleichtert nickt er und deutet in die Richtung, wo wir hinsollen. Also gehen wir zum Zeughausplatz, wo ein kleines amerikanisches Fahrzeug steht, besetzt mit zwei Soldaten. Man hält uns aber keinen Vortrag, sondern bedeutet uns nach längerer Wartezeit, dem Fahrzeug zu folgen. Es geht durch die Manggasse, über den Roßmarkt und Jägersbrunnen, Rüfferstraße, Wilhelmstraße. Da fällt uns auf, dass zahlreiche Jagdflugzeuge über uns kreisen. Sofort entsteht das Gerücht: "Die treiben uns zusammen und machen uns dann von der Luft aus nieder!" Die Leute sind alle so apathisch, dass keiner ans Ausreißen denkt, sondern sich in ihr Schicksal ergeben. Gewohnt, Befehle zu befolgen, trotten sie weiter. Der Sammelplatz befindet sich nahe dem Goethe-Bunker. Stundenlang liegen wir in der Hitze und warten. Dann kommt der Aufruf: " Alle über 70-jährigen Personen antreten!" Kurz darauf sehen wir, dass die alten Leute an einer Filmkamera vorbeiziehen müssen. Für die amerikanische Wochenschau wohl? Nach weiteren Stunden des ungewissen Wartens heißt es auf einmal, wir könne wieder heimgehen. Und schon wird ein neues Gerücht geboren: "Man hat uns nur zusammengetrieben, damit die polnischen Fremdarbeiter in der Stadt freie Hand zum Plündern haben." Voll Angst und Sorge hasten wir heim, aber es war alles noch da. Die Nacht verbringen wir mit Familie F. im Zeughaus-Keller.

Freitag, 13. April

Durch eine deutsche Granate bricht in der Kirchgasse Feuer aus, dem fast drei Häuserviertel zum Opfer fallen.

Samstag, 14. April

Gestern und heute säubern wir die Küche, so dass wir wieder wohnen können.

Sonntag, 15. April

Früh ist der Dachdecker da und deckt unser Dach. Nachmittags bringen wir die Fenster in Ordnung.

Montag, 16. April

Ausländer sowohl als auch Deutsche plündern die Geschäfte in der Stadt. Bei Karch bekommen wir Fleisch ohne Marken.

Aufräumarbeiten am Marktplatz
Aufräumarbeiten am Marktplatz

Ein weiteres Tagebuch hat uns die damals 20-jährige Rita Eschenauer aus Grettstadt hinterlassen. Ihre Aufzeichnungen geben ebenfalls ein treffendes Stimmungsbild aus jener Zeit:

 

Ostersonntag, 01.04.1945

Ich selbst arbeite im Betrieb der Vereingten Kugellagerfabriken in Schweinfurt und bin seit der Bombardierung des Werkes in Bad Kissingen, wo das Werk seine ganzen Büros untergebracht hatte. Da die tägliche Bahnfahrt immer riskanter wurde, wegen der Tiefflieger, wohne ich seit dem 15.01.1945 ganz in Bad Kissingen (Gartenvilla, Sperenza, Schönbornstraße 3) und fahre jedes Wochenende heim. In den letzten Wochen hat sich jedoch vieles verändert. Russische und amerikanische Truppen sind im Vaterland im Vormarsch. Die amerikanischen Streitkräfte sind schon ganz in unsere Nähe vorgerückt. Die Karwoche war in diesem Jahr eine tatsächliche Leidenswoche. Von Ferne hört man Tag und Nacht überall den Donner der Bomben und Granaten. Es ist schauerlich, nur an die herannahende Zeit zu denken. Von überall her kommen Flüchtlinge und Evakuierte. Auch sieht man schon viele versprengte Truppen unserer Wehrmacht. Von allen Soldaten, mit denen ich im Briefwechsel stand, weiß ich nichts mehr. Heinrich hat seit dem 1.2., Hans seit dem 5.3., die anderen alle seit Weihnachten nichts mehr geschrieben. Wo werden sie alle stecken? Ich habe ihnen allen Ostergrüße gesandt, ob sie ankommen, wer weiß? Jetzt geht keine Post mehr.

Ostermontag, 02.04.1945

Mein Vater muss heute arbeiten. Es sollen noch Kugellager vom Lagerhaus in Grettstadt nach Mainleus (auch einem Verlagerungsbetrieb von VKF) geschafft werden. Da gab es gegen 17 Uhr einen großen Schrecken, denn ein Tiefflieger beschoss das Lagerhaus, weil mehrere Ölfässer auf dem Bahngleis standen. Gott sei Dank war meinem Vater, der schnell unter einen Waggon kroch, nichts passiert. Gegen Abend traf ich noch unseren Flaksoldaten Albert Plötz, der schon das Material zum Sprengen der Sulzheimer Stellung holte.  Er schenkte mir ein Paar Strümpfe. Die Erstkommunionkinder gingen schon heute, am Ostermontag, zum Tisch des Herrn, wegen der Ungewissheit der kommenden Tage.

Zerbombte Industriegebäude
Zerbombte Industriegebäude

Dienstag, 03. April

Vater brauchte heute nicht mehr zu arbeiten, wegen des Schadens, den der Tiefflieger anstellte. Ich versuchte früh mit dem Zug zu meiner Arbeitsstätte nach Bad Kissingen zu kommen, was mir nicht gelang - keinen Anschluß in Schweinfurt. So machte ich mich wieder auf den Heimweg und lief von Schweinfurt zu Fuß nach Grettstadt. Meine Mutter freute sich riesig, als ich wieder kam.

Mittwoch, 4. April

Heute früh gelang es mir nach Bad Kissingen zu kommen. Dort wurde alles eingepackt und in einem Stollen hinter dem Kurhaus versteckt. Man wartete schon auf den Feind, der bereits Hammelburg erreicht hatte. Ich nahm Abschied vom Geschäft, meinem Zimmer und allen Mitarbeitern. Als Mittag das Gerücht auftauchte, dass der Feind schon zwischen Würzburg und Schweinfurt sei, haute ich sofort mit der wenigen Habe von Bad Kissingen ab. Zum Glück erwischte ich ein deutsches Militär-Lastauto, das mich mit nach Schweinfurt nahm, dann ging's zu Fuß heim. Letzter Tag in Bad Kissingen.

Donnerstag, 5. April

Immer wieder kommen Soldaten ins Dorf, die ihre Stellungen fluchtartig verlassen mussten. Wir hatten einen Flieger aus Osterbrucken zum Übernachten.

Freitag, 6. April

Die Lage wird immer ernster, Cousine Martha hat einen Soldaten aus Würzburg zum Übernachten bekommen. Würzburg ist schon vom Feind besetzt. Schon kracht es ganz nahe bei uns. Die Flieger sind immer und überall am Himmel.

Samstag 7. April

Meine Cousine Agnes und ich marschieren zu Fuß nach Gochsheim und holen Apfelsaft. Das Lager Bernhard wird ausverkauft. Nach Schweinfurt fliegen die ersten Artillerie-Granaten - schrecklich! Auf dem Heimweg von Gochsheim nach Grettstadt konnten wir schon Artillerie und Tiefflieger beim Beschuß der Stadt Schweinfurt beobachten. Es ist grauenhaft! Gegen Abend kamen ins Dorf viele deutsche Soldaten einer versprengten Kavallerie-Abteilung. Ein oberschlesischer Soldat aß bei uns zu Abend.

 

Weißer Sonntag, 8. April

Da man nicht wußte, ob der 2. Gottesdienst noch ungestört gehalten werden konnte, gingen meine Eltern und ich schon um 7 Uhr zur Messe. Die Soldaten, die gestern von westen kamen, wurden hier neu zusammengestellt und mussten zu Pferd oder zu Fuß gegen 14 Uhr wieder an den Feind. Es war grauslich, das Gefühl zu wissen, sie müssen vorgehen und kämpfen. Ein Flakblindgänger traf das Dach unserer Kirche.


Der Hauptbahnhof
Der Hauptbahnhof

Montag, 09. April

Vater und Mutter waren zur Kirche gegangen und kamen gleich wieder, weil der Gottesdienst wegen Annäherung des Feindes abgebrochen werden musste. Die letzten deutschen Truppen kamen am Waldrand entlang heute morgen zurück. Sie umgingen unsere Ortschaft weiter nach Osten. Jetzt hörte man schon Maschinengewehrgeknatter. Auch war das Anrollen der Panzer schon zu hören. Wenn diese nur schon bei uns wären, dann wüsste man wohl mehr als heute. Werden wir wohl diese Tage überleben? Wer weiß, wie alles kommen wird. Gegen 22 Uhr stellen die Deutschen an der Dreschhalle noch ein Geschütz auf zur Gegenwehr. Da hatten wir eine schreckliche Angst, aber gottlob wurde es schon eine Stunde später abgezogen.

Dienstag, 10. April

Den ganzen Tag hörte man das Schießen der feindlichen und deutschen Artillerie. Das Feuer spielte sich alles westlich unserer Ortschaft ab. Dichte Staub- und Rauchwolken konnte man überall sehen. Wir haben am Abend ein Bett im Keller gerichtet, um vielleicht etwas zu schlafen. Herr Platzbecker, ein Evakuierter aus Schweinfurt, ließ sich in der Nacht zum Bunker am Burkartsbrunnen bringen, weil er sich dort sicherer fühlte. Wir blieben in unserem Keller und hausten dort. Es war eine fürchterliche Nacht. Wir haben nicht geschlafen. Die Stimmung war auch am Morgen schrecklich mies. Jetzt wünschten wir nur noch, dass der Ami bald kommt. Plötzlich, nachmittags gegen 16 Uhr, kamen die ersten Granaten zu uns geflogen. Sie schlugen rings um den Ort überall ein. Bei uns am westlichen Ortsende war es sehr schlimm. Im Garten, im Hof, auf der Straße, überall flogen die Granatsplitter herum. Man konnte nicht außer Haus. Die Fensterscheiben flogen als erstes. Der Mörtel, der Spiegel und die Bilder fielen von den Wänden. Also ging der Zauber jetzt erst richtig los? Drei Tiefflieger beschossen die Dreschhalle, direkt gegenüber unserem Haus. Gegen Mitternacht wurde es dann ruhig.

Mittwoch, 11. April

Endlich haben wir in der Nacht im Keller einen tiefen Schlaf gefunden. Aber dafür war schon am Morgen die Hölle los. Schon gegen 6 Uhr 30 weckte uns schreckliches Geschieße. Wir konnten bis Mittag nicht aus dem Keller. Bis 9 Uhr saßen wir und beteten den Rosenkranz. Meine Eltern und auch ich glaubten, es ist unsere letzte Stunde. Bei jedem neuen Abschuss- wir hörten Abschuss, Pfeifen und Einschlagen - wussten wir ja nicht wohin das Geschoss geht und ob es uns nicht treffen wird. Auf einmal hörten wir ein Geknister - es musste irgendwo brennen! Ist es bei uns? Vater erspähte in einem ruhigen Augenblick, dass die Scheune von Müllers gegenüber in hellen Flammen stand. Wir mussten im Keller bleiben und konnten nicht löschen helfen. Erst gegen Mittag ließ endlich das Arifeuer nach. Wir krochen wie Leichen aus dem Keller. Immer noch war der Feind irgendwo westlich und südwestlich von uns. Wir konnten aber nichts sehen und am Nachmittag wurde es dann verhältnismäßig ruhig. Gegen Abend kam dann Pfarrer Spieler zu uns, um sich den Schaden im westlichen Teil der Ortschaft anzusehen, wo wir ja wohnen. Er erklärte uns, dass der Artillerie-Beobachter auf dem Kirchturm um 11 Uhr abgehauen ist und sicher schon morgen vormittag die Amis hier sind. Bei der großen Schießerei heute morgen haben schon viele Ortsbewohner die weiße Fahne aus den Häusern getan. Es waren grundsätzlich die größten Nazis gewesen. In den Dämmerstunden des heutigen Tages konnte man das Rollen der Panzer wieder ganz nahe hören. Es gab nur einen Gedanken: Wann werden sie jetzt kommen? Um etwa 20 Uhr legten wir uns wieder im Keller zur Ruhe.

Zerstörte Schrammstraße
Zerstörte Schrammstraße

Donnerstag, 12. April

Nach einer Nacht mit mächtigem Hin- und Herschießen wurde ich vom Vater um 6 Uhr geweckt. Ich war noch so müde, dass ich nicht gleich aufstand. Auf einmal ein Schrei meines Vaters: "Dort hinten am Waldrand kommen die Panzer!" Sofort sprang ich aus dem Bett. Wirklich, südwestlich am Waldesrand des Schopfich entlang kam Panzer auf Panzer gefahren. Sie kamen, die Amis! Welch ein Gefühl! Sollte man weinen oder sich freuen? Mir war ganz komisch zumute. Wir konnten gar nicht so schnell alles fassen, denn im Nu war schon überall die feindliche Infanterie zu sehen. Ich wollte am Küchenfenster meiner Cousine Agnes schnell sagen, dass schon überall Amis zu sehen sind, aber o Schreck, unter dem Fenster dicht angelehnt, mit dem Gewehr auf mich gerichtet, stand ein schwarzer Soldat. Das war die erste Begegnung mit dem Ami. War er nun ein Feind oder Freund? Schnell war das ganze Dorf eingenommen. Zuerst wurden natürlich alle Häuser nach versteckten deutschen Soldaten durchsucht. Wir erklärten, dass sie alle schon seit zwei Tagen fort seien. Nun rollten etwa zwanzig bis dreißig amerikanische Panzer auf einem südlichen Feldweg in unser Dorf und standen der Hauptstraße entlang Parade. - Schon der ganze April war sehr warm. Die Sonne lachte täglich vom Himmel wie selten in den Apriltagen eines Jahres. Ausgerechnet heute sandte uns der Herrgott nicht nur die Befreier vom schrecklichen Krieg, sondern auch einen herrlichen warmen Regen. Alles in der Natur erwachte zu neuem Leben und auch bei uns Menschen ist ein neues Erwachen gekommen, denn nun beginnte eine andere Zeit für uns? Die Soldaten suchten meist Bauernhäuser auf, wo sie kurze Zeit wirtschafteten. Ein Jugoslawe, der mit einer Grettstädter Frau verheiratet ist und lange Zeit in Amerika lebte, übergab als Dolmetscher unsere Ortschaft. Die Bevölkerung musste die weiße Flagge hissen. Sämtliche Waffen und Munition mussten auf dem Rathaus abgegeben werden. Auch fanden Hausuntersuchungen nach Waffen und Munition statt. Aber das ist bei uns alles gut verlaufen. Im Lagerhaus der VKF blieben ca. 10 bis 20 Amis stationiert zur Bewachung des Dorfes; alles andere war bis zum Abend weitergezogen. Zu all diesen Ereignissen des Tages kam heute auch ein alter Bekannter aus dem warmen Süden ins Dorf, nämlich unser Storch. 

Freitag, 13. April

Alles ist ruhig geworden. Die Menschen versuchen, zu sich und der gewohnten Umwelt zurückzufinden. Vereinzelt hört man noch Donner und Krachen des Krieges. Ruhig ziehen die Flugzeuge mit dem Sternzeichen - nicht mehr mit dem Eisernen Kreuz - über uns hinweg. Zwei Mann stehen im braunen Stahlhelm unserem Haus gegenüber und hüten ein kleines Lagerfeuer, das zum Erwärmen dienen soll. Gleich nach dem Morgengottesdienst, der für unsere in den letzten Tagen gefallenen Krieger gehalten wurde, kamen den ganzen Tag Lastkraftwagen und brachten neuen Nachschub weiter an die jetzt östliche Front. Verdunklung brauchten wir nicht mehr. Licht gab es noch keines. Auch die Wasserleitung ist außer Betrieb. Es fährt kein Zug. Es gibt verschiedene Bestimmungen, vor allem ein Ausgangsverbot von 18 Uhr abends bis 7 Uhr morgens.

150 Geschützstände gab es rund um Schweinfurt, die alle bombardiert oder gesprengt wurden, wie dieses 8,8 cm Flakgeschütz am Deutschhof (im Hintergrund das Gut)
150 Geschützstände gab es rund um Schweinfurt, die alle bombardiert oder gesprengt wurden, wie dieses 8,8 cm Flakgeschütz am Deutschhof (im Hintergrund das Gut)
Amanda Käß 1978
Amanda Käß 1978

Amanda Käß,  Sozialdemokratische Lokalpolitikerin in der Zeit des Wiederaufbaus und Stadträtin ab 1978 bis in die 1990er, erwartete im Luftschutzkeller des Cafés Beier in der Rückertstraße den Einmarsch der US-Soldaten. Unter Druck fühlte sie sich allerdings nur durch die unverbesserlichen NSDAP-Eifrigen gesetzt. Das Café Beier war das Stammlokal der NSDAP-Aktiven, die bis zuletzt Märchen über die Bosartigkeit der US-Soldaten verbreitet hatten und Angst unter der Bevölkerung schürten, um sinnlosen Widerstand herbeizumanipulieren. Ein "Kaminkehrermeister" habe noch kurz vor dem Einmarsch im Keller des Cafés Beier verhindern wollen, dass eine weiße Fahne nach draußen sichtbar gemacht wird. "Sterben müssen wir jetzt alle, aber im braunen Hemd sirbt sich's leichter" meinte er. Amanda Käß fühlte sich niemals durch US-Soldaten bedroht. "Ich wurde immer mit Respekt behandelt" meinte sie.

 

Erika Köferl
Erika Köferl

Erika Köferl, ebenfalls sozialdemokratische Kommunalpolitikerin der "ersten Stunde" hat den Einmarsch als Befreiung empfunden. Sie verbrachte die letzten Tage des "Dritten Reiches" als 16-jährige in einem Luftschutzkeller in der Krummen Gasse, eng zusammengepfercht mit anderen Schutzsuchenden, darunter ein Kreisleiter der NSDAP. Sie hatte große Angst, hervorgerufen durch gezielt gestreute Greuelmärchen. Die amerikanischen Soldaten kamen vom Oberen Wall her. Sie haben unsere Ausweise kontrolliert. Keiner wurde geschlagen oder mißhandelt, wie die uns vorher suggeriert wurde, meinte sie. Auch wurde sie als junges Mädchen zu keiner Zeit von Besatzungsmitgliedern belästigt. "Wir mussten unsere Radios schließlich an einer Sammelstelle abgeben. Das hatte ich nicht eingesehen. Ich habe meines am Abend heimlich wieder geholt......."