Geschichte der Reformation in Schweinfurt

Das wohl bekannteste Standardwerk über die Geschichte der Reformation in Schweinfurt ist das Buch von Johann Michael Sixt, Condiakon an der Hauptkirche zu St. Johann., mit dem Titel "Reformations-Geschichte der Reichsstadt Schweinfurt aus dem Jahre 1794.

 

Die Schrift, in der das Buch verfasst ist, ist vielen Lesern heute nicht mehr geläufig. Im Folgenden wird ein großer Teil des Buches auszugsweise wiedergegeben, wobei die Sprache und die Rechtschreibung bewusst nicht verändert wurde. Die Schreibweise der Buchstaben wurde jedoch der heutigen Zeit angepasst, sodass dieses für Schweinfurt historisch wichtige Buch nun Zugang zu einer breiten Schicht interessierter Leser haben sollte.

Berücksichtigen muss man naturlich, dass Sixt dieses Buch subjektiv aus seiner Sicht als evangelischer Diakon geschrieben hat.

Teil 1

Einleitung

 

Schweinfurt hatte von der Zeit an, da D. Martin Luther als Refermator des Kirchenwesens aufgetreten war, beynahe 16 Jahre hindurch keinen thätigen Antheil an allen Reformations-Auftritten genommen. Die Mitglieder der neuen Sekte, die nach und nach eine eigene Religions-Genossenschaft unter sich ausmachten, hatten bereits mancherley Zusammenkünfte zu Speyer, Ulm, Torgau, Nürnberg, Rothach, Schmalkalden, Frankfurt und in anderen Orten gehalten, um sich gemeinschaftlich zu berathen, und zur Förderung oder Vertheidigung ihrer guten Sache unter einander zu verbünden; aber nie fand sich ein hiesiger Abgeordneter dabey ein, noch weniger trat man geschlossenen Bündnissen und Conförderationen bey: so wenig es auch an Anwerbungen dazu gefehlt haben mag, und ohnerachtet schon mehrere Reichsstädte mit ihrem rühmlichen Beyspiele vorangegangen waren. Man blieb vielmehr hiesigen Ortes immer noch der alten Lehre getreu, und schmiegte sich, zum Beweis seiner Ergebenheit für den Katholizismus, auf den damahligen Reichstagen, wenn sie beschickt wurden, genau an die entgegen wirkende Partey an; selbst auf dem Reichstag zu Augspurg 1530 war der Schweinfurterische Abgesandte, Sebastian Salmuth (Anmerkung: Bürgermeister von Schweinfurt, gest. 1554), nebst den übrigen noch katholisch gesinnten Städte-Gesandten ein treuer Begleiter einer feyerlichen Fronleichnams-Prozession. Es mag seyn, daß man hier im Stillen bereits andere Grundsätze hegte, und alle die Vorschritte, die die Protestanten schon gethan hatten, bey sich genehmigte; außerdem würde man sich gewiß nicht in die Berathungen mit eingelassen haben, bis wegen der neuen Lehre und wegen des erforderlichen Benehmens dabey auf einem Seperat-Convente einiger Fränkischen Stände zu Windsheim 1524 gepflogen wurden; aber die Rücksicht auf ein mächtiges Reichs-Oberhaupt, dessen Gnade man nicht verscherzen wollte, und das besondere politische Verhältnis, in welchem man mit einem mehr vermögenden Nachbar stand, waren eben so überwiegende Ursachen, noch nicht laut hervor zu treten, sondern etwa günstigere Zeitumstände abzuwarten. Erst später kam es zur Reformation Schweinfurts. Die Geschichte derselben, die, wenn sie gleich nicht das hervorstechende und Merkwürdige in Thatsachen, wie die Kirchen-Verbesserungs-Geschichte größerer Länder und Staaten haben sollte, doch keyn unwichtiger Beytrag zum Ganzen, auch nur als Fragment betrachtet, seyn möchte, soll nun so treu und vollständig geliefert werden, als es die mühsam ausgesuchten Quellen und Hülfsmittel zuließen.

 

Erster Abschnitt

Veranlassungen zur Schweinfurtischen Reformation

 

Erstes Kapitel

Entferntere Veranlassungen; Verfall des Katholizismus, Politisches Interesse. Gelehrte Leute und Männer von Einsicht hier und in der Gegend

 


Das Religion- und Sitten-Verderbniß, welches vor und mit dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts so groß in der herrschenden Kirche wurde, ward von jeher als ein entfernter Grund angesehen, warum diejenige Reformation erfolgen mußte, die wir den Bemühungen unserer Muth- und Einsichtsvollen Vorfahren zu verdanken haben. Allerdings war auch jenes Verderben (die grellen Farben abgerechnet, die bisweilen bey der Beschreibung desselben ausgetragen wurden so hoch gestiegen, daß, nach dem gewöhnlichen Gange der Dinge, nothwendig eine heilsame Gährung erfolgen mußte. Nicht bloß von den Anhängern der protestantischen Partey, sondern auch von Mehreren, die im Schooße der katholischen Kirche lebten, sind die lautesten Zeugnisse hierüber vorhanden, Zeugnisse, die nun durch die aufgeklärten Männer des katholischen Teutschlands eine ganz unpartheiische Bestätigung erhalten, wenn sie anders derselben noch bedürfen sollten. Die kirchliche Verfassung in Schweinfurt, wie sie damahls war, machte nun hiervon keine Ausnahme. Auch hier ward die ganze Religion mehr auf Menschensatzungen und Geistloses Außenwerk zurück geführt; unbedingter Gehorsam gegen den Papst und seine reichlich besoldeten Diener von dem obersten zu den untersten herab, andächtelnde Heiligen-Verehrung, Meßhören und Rosenkranz-Bethen, heilige Wallfahrten und Proceßionen, das waren die hauptsächlichen Gegenstände derselben, ohne daß der eigentliche Geist des Evangeliums nur einiger Maßen durchschimmerte.

Dr. Martin Luther
Dr. Martin Luther

Auch hier hielt man das Volk durch leere Täuschungen hin, und suchte durch heilige Blendwerke milde Gaben und Opfer heraus zu locken; anschauende Ueberbleibsel davon sind noch zwey Marienbilder, davon sogar das eine noch bisweilen, nur vermöge eines ganz natürlichen Triebwerks im ausgehöhlten Kopfe, weinte und, wenns Noth that, blutige Thränen vergoß. Auch wurden häufig merkantilische Geschäfte mit der Vergebung der Sünden getrieben; und wenn gleich die fortgepflanzte Volkssage: daß auch Tezel, der Ablaßkrämer, hier in der Nähe der Hauptkirche seine geistliche Bude aufgeschlagen habe, nach allen Umständen keinen Glauben verdienen kann: so fanden sich doch, nach den deutlichen Winken unserer Chroniken-Schreiber, öfters hier Männer ein, die zu dieser Absicht von Rom aus abgesandt, oder daher bevollmächtigt waren.

Nie verfällt aber eine Religion mehr, als wenn die Lehrer derselben unfähig zur Vollendung ihres wichtigen Berufes sind, und ein Leben führen, welches damit in einem auffallenden Widerspruche steht: dieß war damahls so ganz der Fall in Schweinfurt. Das freymüthige Urtheil, welches der berühmte Salzburgische geistliche Rath Florianus Dalham erst neuerdings gefället hat: "Die Weltgeistlichen und Mönche waren damahls hin und wieder äusserst ungebunden, und zugleich ganz unwissend in den schönen Wissenschaften; alles Geld, um welches sie andere durch eine unerlaubte, mit ihren priesterlichen Verrichtungen und Ablässen getriebene Krämerey gebracht hatten, ward zum Pracht, zu Veranschauungen und zu einem Zügel- und ganz Schaamlosen Concubinate verwendet. Auch die nicht mehr nach ihrer Ordens-Regel lebenden und umherschweifenden Mönche waren so sehr darauf aus, Laster und Mißbräuche zu verbreiten, daß nicht einmahl das Ansehen ihrer entgegen wirkenden Bischöfe einigen Eindruck auf sie machte:" dieß vortreffliche Urtheil paßt genau auf die damahligen hiesigen Geistlichen. So unbekannt mit der Religion, deren Ausleger und Bothschafter sie seyn, und nach welcher ie den weg zur Glückseligkeit anweisen sollten, daß sie die öffentlichen Vorträge darüber nur als Nebensache behandelten, und daß erst 1534 ein besonderer Mann mit einem eigenen Gehalte dazu bestellt werden mußte, unterhielten sie bloß die betrogene Gemeinde, aber ohne wahre Erbauung für ihren Geist, mit einem elenden Gauckelwerk; noch weit mehr brandmarkten sie sich durch ihr Religionswidriges Betragen und durch ihre außerehelichen Ausschweifungen, wovon unter anderen lebendige Beyspiele aufgestellt wurden, die bey dem hiesigen Publikum kein Geheimnis blieben und hie und da laute Urtheile nach sich zogen. Treu genug sind auch die hiesigen Pfarrer und Kapläne, so wie der Wirzburgische Clerus überhaupt, in demjenigen Mandate gezeichnet, welches der Fürst-Bischof Conrad III. 1521 öffentlich ausgehen und an die Kirchenthüren jedes Orts seiner Diocese anschlagen zu lassen sich gedrungen fühlte; zur Steuer der Wahrheit sagt der Einsichtsvolle und wahrhaft würdige Bischof darinn:

Konrad von Bibra - später Fürstbischof v. Würzburg
Konrad von Bibra - später Fürstbischof v. Würzburg

" Wir haben er mit großer Betrübnis unseres Herzens erfahren: daß die meisten Gott geweiheten Personen, ihres Standes und ihrer Würde uneingedenk, und stolz auf den bloßen, leeren Titel der Priester, da sie es doch in der That keineswegs sind, sich und Andere durch ein schändliches Leben beflecken, und denen verderbliche Beyspiele geben, die sie durch einen würdigen Wandel erbauen sollten; ohne es einzusehen, was das heiße einem heiligen Volke vorzustehen, und wie viel das auf sich habe die heiligen Sakramente zu verwalten, geben sie zuerst Anstoß und Aergernisse. In den Geist des Evangeliums, welches sie selbst dem Volke zu verkündigen unterlassen, dringen sie nicht ein; in ihren Conventen, wo sie für das ewige Heil der Abgeschiedenen bethen sollten, opfern sie sich mehr ihren Leidenschaften als Gott auf; nach den heiligen Horen, gerade als ob sie dann dem teufel dienen müßten, beschweren sie ihre Herzen mit Trunkenheit und Völlerey, schütten Einer wie der Andere Getränke ein, geben dann das, was sie schändlich zu sich genommen haben, auf eine noch schändlichere Art von sich, und ergeben sich um niedrigen Gewinstes willen unanständigen Spielen, die von ihren Stiftern bey schwerer Strafe verbothen worden sind: woraus hernach meistens Lügen; Betrug, Zank, Uneinigkeit, Zorn, Fleischeslust, Geilheit, Gotteslästerungen, Balgen und auch Todtschläge entstehen."

Bey einer so traurigen Lage, in der sich damahls die Religion sammt ihren so tief gesunkenen Lehrern befand, und welche sich auch nach dem, was der gutdenkende Fürst-Bischof zu ihrer Verbesserung that, nicht im Geringsten abänderte, mußte nothwendig im Wirzburgischen, und in Schweinfurt insonderheit die Sehnsucht nach etwas Besserem allmählig erwachen, und dadurch nach und nach die Vorbereitung zur bereitwilligen Aufnahme der werdenden Reformation gemacht werden; denn eben um deßwillen, sagt der geistliche Rath Dalham am angeführten Orte, weil das Verderben der Diener so hoch stieg, wurde der Clerus allgemein gehaßt und verachtet; Luther aber, der gegen alle jene Verderbnisse auftrat, fand bey Menschen aus allen Ständen, auch bey Männern von Gelehrsamkeit, desto mehr Eingang.

Dies würde indessen noch nicht hinreichend gewesen seyn, eine so große Kirchen-Veränderung, als sie wirklich nachher erfolgte, hier zu veranlassen, da die Anhänglichkeit an die Religion der Väter und Vorfahren bey allem Verfall derselben ewöhnlich sehr stark ist, und nicht so leicht auf eine reinere und würdigere Gottes-Verehrung hingelenkt werden kann; wenn nicht noch andere Ursachen dazu mitgewirkt hätten. Politisches Interesse ( und warum sollte dieß nicht gesagt werden, da gemeiniglich in unserer Sphäre auch die heilsamsten Revolutionen mit unter von gewissen Menschlichkeiten ausgehen ) trat augenscheinlich dabey ein. Die minder mächtige Reichsstadt befand sich von jeher nicht in dem besten Verhältnisse mit dem weit ansehnlichern Bisthum Wirzburg, von dem sie ringsherum eingeschlossen ist, und hatte bis auf die neueren Zeiten, wo es unter der Regierung weiser und menschenfreundlicher Fürst-Bischöfe ungleich besser ward, mancherley Bedrängnisse zu erdulten. Die hauptsächlichsten derselben fallen in das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert, wo die Bischöfe Mangold, Gerhard und Johannes II. bald durch Achts-Erklärungen und Bannstrahlen, bald durch zugeschickte Fehde-Briefe, bald durch Belagerungen und Verheerungen, bald durch harte Vergleiche der Stadt Schweinfurt Noth machten; besonders wehe thaten ihr die Bischöfe Mangold und Gerhard: jener belegte sie 1303 mit dem Banne und der Acht, überzog und zwang sie mit gewaffneter Hand, daß sie sich allen seinen Forderungen fügen mußte; dieser schrieb ihr eine Fehde zu, wodurch sie, um nicht ein gleiches trauriges Schicksal mit Rotenburg und Windsheim zu erfahren, genöthiget wurde, schleunig die Vermittlung Bischofs Adolph von Maynz zu suchen, und in dem darauf erfolgten Vertrag, der aber glücklicher Weise nicht zur Vollziehung kam, sich die harten Bedingungen vorschreiben zu lassen:

"daß sie dem Bischof Gerhard wegen zugefügten Schadens 9000 gute Gulden von seinen Schulden abschreiben, sein Landgericht zu Wirzburg anerkennen, den wegen der Mühle verbauten Maynstrom von ihm öffnen und sich einen Centgrafen setzen lassen; daß sie die gefangenen Bürger von Arnstein auf freyen Fuß setzen, die abgerissene Kilians-Kirche wieder aufbauen, auch keine Pfalbürger und eigene Leute des Bischofs je annehmen sollte."

Nun vielleicht hatten die Bischöfe zu Wirzburg vollkommenes Befugniß zu solchen Vorschritten, ohne daß eben der Grund dazu bloß in feindseligen oder abgeneigten Gesinnungen gesucht werden darf? Die Geschichte mag hierüber entscheiden. Soviel ist unläugbar: daß das Landgericht in dem alten Herzogthum Franken bestand, auch dem Bisthum Wirzburg zuerkannt wurde; Kaiser Friedrich hatte auf dem Reichstag zu Wirzburg 1168 ein Privilegium ertheilt, worinn deutlich bestimmt ist: "Wir geben, verleihen und bestätigen durch Befestigung gegenwärtiger Freyheit dem ehrwürdigen Bischof Erholden und seinen Nachkommen allen Gerichtszwang oder vollkommene Gewalt zu Verschaffung der Gerechtigkeit durch das ganze Bisthum und Wirzburgische Herzogthum und durch alle Grafschaften im selben Bisthum und Herzogthum gelegen, über Raub, Brand, eigen Lehenzent und Blutrach; aus Kaiserlicher Macht setzend, und durch ein Gesetz, so ewig währen soll, erkennend, daß keine Person, geistlich oder weltlich, mit fürwitzigen Muthwillen wider die Einsatzung der alten Fürsten, wider die von Tag zu Tage währende und rechtmäßige des Stifts Wirzburg und unsere unverrückliche Erkenntniß kommen, durch das ganze Wirzburgische Bisthum und Herzogthum, auch die Grafschaften in den Enden des Bisthums und Herzogthums gelegen, über Raub, Brand, eigen Lehen oder Leute, einigen gerichtbarlichen Gewalt hinfüro zu üben unterstehe, dann allein der Bischof zu Wirzburg, oder dem es befiehlt, das ausgenommen, daß die Grafen von den freyen Leuten, so gemeiniglich Pfarrgülter genennet werden, in den Grafschaften die Gerechtigkeit nehmen sollen, wie gesagt ist. Wir verbieten auch mit diesem Kaiserlichen Gebot, daß in obgedachten Bisthum und Herzogthum, oder in den Grafschaften darinn gelegen, Niemand einige Zent mache, oder Cent-Grafen setze, denn mit Zulassung des Bischofs als Wirzburgischen Herzogen." Eben dieß wurde in der Folge  von mehreren Kaisern, besonders von Maximilian I. bestätigt.

Wenn also die Bischöfe zu Wirzburg verlangten, daß ihr verwilligtes Landgericht allgemein in Franken respektiert werden, und Jeder sich da Recht sprechen lassen müsse: so war dies ohne alle Anmaßung bloß rechtmäßiger Gebrauch, den sie von ihrer erhaltenen Kaiserlichen Begnadigung machten; und die konnten durchaus nicht gleichgültig haben seyn, wenn hie und da ihr Landgericht nicht anerkannt, oder in seinem Umfang begränzt werden sollte; sie mußten vielmehr ihre Rechte behaupten und die Abtrünnigen, sollte es auch durch gewaltsame Mittel geschehen, zum Gehorsam zurück zu bringen suchen. Dadurch scheinen nun auch die Vorschritte Mangolds, Gerhards und Johanns II. gegen Schweinfurt hinlänglich gerechtfertigt zu seyn; denn alles, was sie thaten, geschah um deßwillen, weil die Fränkische Stadt sich dem Landgericht des Herzogthums Franken nicht fügen wollte und in sofern ihre Rechte beeinträchtigte. Wie aber, wenn es von diesem Gerichtszwang ausgeschlossen gewesen wäre? Dieß kann eben so wenig bezweifelt werden. Zwar ist das Privilegium Königs Albrecht hierüber, dessen Frieß gedenkt, in der ersten Zerstörung der Stadt verloren gegangen; aber die nachfolgenden Privilegien Kaiser Ludwig IV: von 1330, und Kaiser Karl IV: von 1361 und 1362, die nichts anders als Bestätigungen des Albrechtischen, und um deßwillen laute Beweise sind, daß es nicht, wie der Wirzburgische Chroniken-Schreiber vorspiegeln will, durch einen ungegründeten Bericht erschlichen worden sey, begnadigen durchaus die Stadt mit der Befreyung von allen andern fremden Gerichten; und wenn gleich in dem Privilegium Ludwigs IV. noch die Ausnahme gemacht ist: daß dem Bischof von Wirzburg, als Officiato, an seinem Landgericht und seiner Cent nichts benommen seyn solle: so fällt doch diese Ausnahme in der Folge ganz hinweg; ja Kaiser Wencelslaus widerrief jenen harten Ausspruch Bischofs Adolph von Maynz zwischen Wirzburg und Schweinfurt, worinn Letzteres dem Landgericht in Franken ganz unterworfen seyn sollte, 1397 in einer eigenen Urkunde förmlich.

Was daher fließe, läßt sich wohl leicht absehen; es würde nähmlich sehr unpatriotisch gehandelt gewesen seyn, wenn man hiesigen Ortes auf solche Kaiserlichen Begnadigungen und Freyheiten Verzicht gethan hätte, und jede Gewaltthätigkeit, wodurch diese Verzichtleistung bewirkt werden sollte, erscheint auf diese Weise eben nicht in dem vortheilhaftesten Lichte, verliert höchstens nur durch die damahligen Fehde-Zeiten, wo eben das Recht des Stärkern galt, etwas von ihrem Schatten. Dieß scheint man nachher in Wirzburg höhern Ortes selbst eingesehen zu haben, und darinn mag ein vorzüglicher Grund mit gelegen haben, warum Bischof Johannes II. 1431 in einer eigenen Urkunde die Versicherung ausstellte: er wolle die Bürger von Schweinfurt bey ihren Freyheiten und Privilegien, die sie von Kaisern und Königen erlangt hätten, lassen und nicht mehr an seinen weltlichen Gerichten urtheilen. Aber die nachfolgenden Bischöfe schmerzte dieser Schritt ihres Vorfahrers wieder um so mehr; sie suchten die Lossagungs-Urkunde Johanns, die doch die Bekräftigung Kaisers Sigismund erhalten hatte, dadurch verdächtig zu machen, daß sie bloß unter seinem Siegel, auch wohl gar nicht einer Schweinfurtischen Vorschrift, ausgestellt worden sey, und daß ihn nur die höchste Geldnoth dazu gedrungen habe: so lassen sie wenigstens ihren Geschichtsschreiber Frieß sprechen: und bey jeder Gelegenheit suchten sie ihre alten Anforderungen zu erneuern; es verging über ein Jahrhundert, bis sie sich ihrer weltlichen Jurisdiktion über Schweinfurt begaben: dieß geschah erst 1572. 

Kaiser Sigismund
Kaiser Sigismund

Von Seiten Schweinfurts hatte man freylich auch nicht immer so gehandelt, wie zur Gründung oder Förderung des nachbarlichen Vernehmens hätte gehandelt werden sollen; vielmehr wurden sogar 1384 von hier aus die aufrührischen Bürger und Unterthanen des Bischofs Gerhard unterstützt, und in der Fehde mit ihm 1386 mit ihm mußten vier hiesige Söldner das Wirzburgische Dorf Eßleben Nachts in Brand stecken; auch war die Sprache, die gegen das mächtigere Wirzburg geführet wurde, bisweilen ziemlich kühn; aber der feindseligen Vorschritte gegen die geringere Reichsstadt waren denn doch immer ungleich mehrere, und oft wurden sie da gethan, wo so gar kein hinreichender Grund dazu vorhanden war. Selbst jede Erweiterung des Schweinfurtischen Gebietes sah man in Wirzburg ungerne, und suchte um deßwillen den Kauf Oberndorfs und des teutschen Hauses öffentlich zu hindern, so wenig man auch seine Absicht erreichte; denn Karl und Kunz von Thüringen traten doch 1436 Oberndorf an Schweinfurt frey und eigenthümlich ab, und Kaiser Sigismund erkannte ihm eben so 1437 das teutsche Haus in einer güldnen Bulle zu, worinn zugleich der Landgraf Ludwig von Hessen aufgefordert ward, als Schutzherr der Stadt wider das Stift Wirzburg und sonst männiglich zu schützen und zu schirmen.

Wenn indessen auch die hießigen politischen Angelegenheiten immer noch einen guten Ausgang hatten, und die gedrückte Reichsstadt jedesmahl Schutz fand: so waren das doch nur gewisser Maßen Palliativkuren; das politische Verhältniß gegen Würzburg blieb demohngeachtet immer dasselbige, und so lange die Bischöfe hier die Hierarchie behaupteten: so lange war auch ihr Einfluß in die hiesige Gerichtsbarkeit immer groß genug. Dieß mußte nothwendig nach und nach den Wunsch erzeugen, von dieser geistlichen Herrschaft befreyet zu werden, um auch im Staate freyer athmen zu können: ein Wunsch, der sich um so mehr mit eller Wahrscheinlichkeit voraus setzen läßt, da man die hießige Geistlichkeit schon frühzeitig einzuschränken suchte, und der Bürgerschaft 1417 öffentlich bekannt machen ließ: daß Niemand mehr bey geistlichen Leuten, weder in Kirchen noch Klöstern, als Kläger erscheinen und Beklagte dahin citieren sollte. Auch mußte sich schon 1369 Prior und Convent des hiesigen Carmeliter-Klosters verschreiben, kein eigenes oder ererbtes Gut aus der Beeth zu ziehen. Wie willkommen mußte noch mehr eine Reformation seyn, von der sich erwarten ließ, daß durch sie der Staat von einem lästigen Zwange befreyet und seine Lage weit besser werden würde! Bey einem andern politischen Verhältnisse würde man sich wahrscheinlich nicht so leicht von Wirzburg losgewunden, vielleicht auch noch genauer angeschlossen haben.

Bey dem allen aber war noch manches wohlthätige Licht erforderlich, wodurch erst die Einwohner Schweinfurts aus der Unwissenheit, zu welcher man sie geflissentlich hinhielt, glücklich heraus gehoben und allmählig aufgekläret werden mußten: dieß reichten dann die wieder aufblühenden Wissenschaften recht schön dar. Die hiesigen, un die Fränkischen Musensöhne überhaupt, waren nun nicht mehr mit einer elenden Scholastik zufrieden, wie sie gegen das Ende des fünfzehnten und zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Deutschland gelehret wurde; ein besserer Geschmack, der, obgleich nur wie in einer Morgendämmerung, sich zu verbreiten anfing, zog sie in das gelehrte Italien, wo die Griechischen Flüchtlinge ihre literarischen Wohnsitze aufgeschlagen hatten, und auf den Universitäten desselben erhielt ihr Geist eine freyere wissenschaftliche Bildung, mit der sie in ihr Vaterland zurück kehrten und zur Erleuchtung ihrer Landsleute wucherten.

Cuspinianus
Cuspinianus

Mehrere gelehrte Leute standen nun in Schweinfurt, noch mehr aber in dem nähern und weitern Umkreise desselben auf: in Schweinfurt Johannes Cuspinianus und Johannes Sinapius; jener als Philosoph, Dichter, Redner, Historiker, Arzt, Kaiserlicher Rath und Präsident zu Wien; dieser aber als Lehrer der schönen Wissenschaften zu Ferrara und zuletzt als Leibarzt des Fürst-Bischofs Zobel von Wirzburg bekannt; in Protuch, einem ehemahligen Dorfe ohnweit Schweinfurt, der erste gekrönte Dichter un Stifter der Rheinischen litterarischen Gesellschaft, auch Professor zu Ingolstadt und Wien, Conrad Celtes; in Wirzburg D. Gregorius

Conrad Celtes
Conrad Celtes

Haimburg; in Mergentheim der Wirzburgische Rath und Archivar, Laurentius Frieß; in Steckelberg Ullrich von Hutten, der Sprecher für teutsche Nation und Freyheit und Wahrheit, der für sie mehr als sprechen wollte; in Hammelburg der berühmte Baselische Buchdrucker Johannes Frobenius; in Karlstadt der Mathematiker und Astronom, Johannes Schönerus, der in mehr als einem Betrachte merkwürdige Andreas Bodenstein und D. Johann Draconites; in Mellrichstadt der Polyhistor und erste Lehrer auf der Universität Wittenberg, Martin Pollich; in Königsberg der Mathematiker, Johannes Regiomontanus; in Bamberg der Philolog, Joachim Camerarius; in Nürnberg der Consident, Christoph Scheuerl, der Wittenbergische Rechtslehrer, Sebaldus Münster, und der Theolog, Georgius Major; in Windsheim der Grieche und Uebersetzer der Alten, Vitus Ortelius. Diese und noch andere gelehrte Franken der damahligen Zeit theilten nun, in Verbindung mit ihren Einsichtsvollen Zeitgenosse, ihre Kenntnisse in so manchen Fächern des menschlichen Wissens, wozu sie sich mühsam hinauf gearbeitet hatten, größten Theils, nur wenige ausgenommen, durch eigene Schriften mit; und es konnte nicht fehlen, daß diese Kenntnisse auch unter ihren Landsleuten in Umlauf gebracht und in einer allmählichen Abstufung bis zu dem gemeinen Manne hinab geleitet wurden.

Ullrich von Hutten
Ullrich von Hutten

Wie viel mußte besonders der unvergeßliche Ullrich von Hutten in dieser Absicht wirken, da Adelwürde und ausgezeichneter Heldenruhm seiner Gelehrsamkeit und Freymüthigkeit so vielen Eingang und die beste Empfehlung verschafften! Er allein würde vielleicht im Stande gewesen seyn, einen großen Theil des verfinsterten Frankens aufzuhellen. Aber groß war immerhin auch dabey das Verdienst eines Frobens, der seine meist vortrefflichen Verlags-Bücher, vorzüglich die Schriften Griechenlands und Roms, die er zum Druck beförderte, in sein Vaterland zu bringen wußte, und dadurch, absichtlich oder unabsichtlich, den Köpfen seiner Landsleute einiger Maßen zum Erwachen verhalf. Wirklich zertheilte sich auch von nun an sichtbar die Nacht der Unwissenheit, die vorher in Franken, im Wirzburgischen und in Schweinfurt insbesonderheit herrschte; daggen ward es hie und da heller, und Viele fingen, noch ehe Luther auftrat, schon an die großen Mißbräuche in der katholischen Kirche einzusehen und mit der bisherigen Religions-Verfassung unzufrieden zu werden. Schon in jenen dunklen Zeiten, nähmlich 1342 hatte ein Wirzburgischer Einwohner, Franz Hager, öffentlich behauptet: das Meßopfer für die armen Seelen wäre weder verdienstlich noch nützlich; wäre lauter Gremplerey, Pfaffengeitz, Simonie, Raub des Allmosens, welches den armen, hungerigen und nothdürftigen Leuten gebühre; und in eben diesem Jahr ein Weltgeistlicher von Nürnberg, Herrmann Küchner im Wirzburgischen gelehret: Päpste und Bischöfe wären ihres Amtes wegen nicht größer und nicht mehr, denn jeder andere Priester; schon 1446 hatte ein gewisser Friedrich Müller Hussens Lehre ungescheut im Bisthume zu verbreiten gesucht: was mußte also jetzt erst erfolgen, da die Aufklärung in Franken begann und Kenntnisse aller Art sich zu verbreiten anfingen! Die Geschichte hat zwar nicht allediejenigen nahmhaft gemacht, bey welchen die Erleuchtung des Zeitalters dadurch wirkte, daß sie weiter sahen; aber nach den Winken, die der Sammler der Wirzburgischen Geschichtsschreiber, Gropp, hie und da ganz dunkel ertheilet, waren ihrer nicht wenige; und wie viele werden noch außerdem durch die Bannstrahlen, die sie zu befürchten hatten, zurück gehalten worden seyn, ihre hellern Einsichten öffentlich dazulegen! In Schweinfurt dachten ohnehin schon Mehrere, durch ihre gelehrten Landsleute aufgeklärt, nicht mehr so, wie ehemals, und fühlten das Leere, das Unbefriedigende ihres bisherigen Religions-Wesens, worüber unsere Chroniken nicht undeutliche, aber nur kurze Aufschlüsse ertheilen. Wie leicht konnte unter solchen Umständen irgend eine Kirchen-Verbesserung Land auch in Schweinfurt gewinnen!

Zweites Kapitel

Nähere Veranlassungen zur Reformation in Schweinfurt: Reformation Luthers. Anhänger desselben in Franken. Beschwerden der teutschen Nation gegen den Papst auf dem Reichstag zu Nürnberg 1523. Separat-Convent zu Windsheim. Bauernkrieg in Franken. Anschauende Beyspiele von Kirchen-Verbesserungen in der Fränkischen Nachbarschaft. Muthvolle Vorschritte der protestantischen Fürsten und Stände.

In der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts erhob sich wirklich in Sachsen diejenige Reformation, der auch in Schweinfurt so manche Vorbereitung vorher gegangen war; und dieß leitete die Fränkische Reichsstadt schon etwas näher zum Ziele. D. Martin Luther, der Mann von den durchdringenden Einsichten und dem unbestechlichen Muthe, woran es keinem Reformator fehlen darf, trat mit dem Jahre 1517 öffentlich auf; mit der größten Freymüthigkeit rügte er die in der Kirche bisher herrschend gewesenen Mißbräuche, und trug es, je weiter er vorrückte, auf nichts anders, als auf eine gänzliche Reform derselben an. Ein Unternehmen, das so viel Aufsehen machte und nicht bloß in dem akademischen Kreise von Wittenberg eingeschlossen blieb, sondern so gar den Papst, den Kaiser und das Reich beschäftigte, konnte auch hier nicht unbekannt bleiben; man hörte, was der muthige Augustiner-Mönch in Wittenberg that, und bis in die hießigen Ringmauern drangen die allgemein verbreiteten Gerüchte: "Luther hat sich öffentlich gegen den Ablaßkrämer Tezel erklärt und 95 Streitsätze gegen ihn an das Schloßthor zu Wittenberg anschlagen lassen; ist von dem Papst nach Rom citiert worden, aber nicht erschienen; hat sich durchaus geweigert, vor dem Päpstlichen Abgesandten Cajetan seine bisherigen Lehren zu widerrufen, wofern er nicht aus der Schrift eines naderen überführet wurde, und von dem Papst an ein allgemeines Concilium appelirt; hat in einer öffentlichen Disputation zu Leipzig einen vollkommenen Sieg über D. Eck davon getragen; ist durch eine Bulle Leos X. verdammt und sein Bildnis nebst seinen Schriften durch den Scharfrichter zu Maynz verbrannt worden; hat das kanonische Recht und die Schriften seiner Gegner ebenfalls zu Wittenberg verbrannt, und nun ohne Rückhalt gegen das Papstthum eine Schrift von der Babylonischen Gefangenschaft ausgehen lassen; ist nach Worms auf den Reichstag vorgefordert und , weil er in der ganzen feyerlichen Reichsversammlung nicht zum Widerruf seiner Schriften gebracht werden konnte, von dem Kaiser in die Acht erklärt, auch noch obendrein vom Papst als der größte Ketzer verdammt worden; hat durch die Fürsorge seines Churfürsten die Wartburg zu einem sichern Aufenthaltsort erhalten, fährt auch da fort, die Nichtigkeit der Ohrenbeichte, der Mönchs- und Klostergelübde und überhaupt die Mißbräuche der katholischen Kirche zu rügen, dagegen seine neue Lehre ungescheut gegen Jedermann zu vertheidigen; hat das neue Testament in die teutsche Sprache übersetzt, seinen Möchshabit abgelegt, eine ehemalige Nonne geheirathet, und zählt bereits viele Anhänger, so gar unter den Ständen des Reichs, die den Päpstlichen Gesandten mit 100 Beschwerden nach Rom zurück geschickt haben.

Das waren von 1517 bis 1525 zu auffallende Nachrichten, als daß man auch in Schweinfurt so ganz gleichgültig dabey hätte bleiben können; man machte also die Geschichte des Tags zum Gegenstand des Gespräches, und jeder ehrliche Reichsbürger sagte dann, nach dem von jeher gewöhnlichen Reichsstädtischen Gesellschaftston, seine Meinung darüber. Freylich fand mancher Bigotte und Rechtgläubige die Vorschritte Luthers äußerst unkatholisch; daß so gar der heilige Vater Papst ein so moralisches Ungeheuer seyn sollte; daß man durch den Ablaß keine Vergebung der Sünden empfangen könnte; daß die Messe, die Mönchs- und Klostergelübde, die Wallfahrten und Proceßionen auf lauter Menschenwerk und Menschenerfindung beruhten, und daß überhaupt das größte Verderben in der heiligen Kirche nach allen ihren Gliedern von dem obersten bis zu dem untersten herrsche: das und noch mehreres war vielleicht manchem Schweinfurtischem Bürger, der noch seinen Rosenkranz in heiliger Einfalt bethete, die größte Versündigung, die je begangen werden konnte; darinn roch wohl mancher unwissende Verehrer des katholischen Clerus die ärgste Ketzerey und suchte sich durch heilige Kreutze vor der Ansteckung zu bewahren; Viele bebten wahrscheinlich auch Furchtvoll wegen des traurigen Ausgangs, den das Schicksal der wahren Kirche haben könnte und suchten dieß schreckliche Gericht durch auferlegte Bußübungen noch zeitig genug abzuwenden; triumphirten aber auch laut über die Verdammung des unberufenen Ketzers. Andern hingegen, die schon heller zu denken angefangen hatten, gefielen ohnstreitig die Unternehmungen Luthers; in das Lob eines Mannes, der die Hierarchen demüthigen, den ewigen Geldschneidereyen, die von Rom aus und in Teutschland unter dem Scheine der Religion und der Beförderung frommer Absichten getrieben wurden, dem lästigen Joche, unter welchem bisher die bedrängten Teutschen geschmachtet hatten, und allen Mißbräuchen ein Ende machen, zugleich aber auch christliche Freyheit wieder herstellen, der Religion zu ihrer ersten Reinigkeit verhelfen und die Quelle des Lichtes, der Besserung und des Trostes für Alle wieder eröffnen wollte, stimmen sie sicherlich laut ein, und bedauerten gewiß nichts mehr als die traurigen Schicksale dieses vortrefflichen Mannes. Wenn gleich Viele derselben den Hauptpunkt, worauf hiebey alles ankam, noch nicht zu umfassen vermochten; denn dazu gehörte tiefere Einsicht, als sie die meisten haben konnten: so machte sie doch ein gewisses dunkles Gefühl geneigt für den Wittenbergischen Reformator und beseelte sie mit einer besonderen Fürliebe für ihn, wie dieß noch jetzt oft der Fall ist. Genug, auch hier wirkte der Reiz der Neuheit; und auf viele der hiesigen Einwohner möchte eben das anwendbar seyn, was der einzig pragmatische Geschichtschreiber der Reformation, D. Plank, von den Sachsen sagt: " Ein großer vielleicht der größere Theil wußte gewiß nicht einmahl des eigentlichen Inhalt der Lehre Luthers über die Grundartikel des Glaubens, wußte so wenig, was er Luthern nachglauben sollte, als er vorher gewußt hatte, was er der Römischen Kirche nachglauben mußte, sondern verehrte ihn bloß deswegen, weil er wider Mißbräuche geeifert, die Mönche gezüchtigt, und dem Papst nebst den Bischöfen, auch mit unter ihren weltlichen Herren und Fürsten kühne Wahrheiten gesagt hatte."

Lorenz von Bibra
Lorenz von Bibra

Es sey indessen das eine oder das andere, Neuheit oder wahre Überzeugung gewesen; Luther fand einmahl in Schweinfurt seine Vertheidiger, seine Lobredner, un die sichtbare Achtung, die ihm der Fürst-Bischof, Lorenz von Bibra wiederfahren ließ, wirkte gewiß sehr viel dazu. Vielleicht las man auch gar schon in geheim einige Schriften des neuen Reformators? - Schwierig war das immer zu einer Zeit, wo die alles fürchtende Geistlichkeit mit der größten Sorgfalt darüber wachte, daß das Gift der Ketzerey in ihrem Mittel sich nicht etwa auch verbeiten möchte, und in einem Städtchen, das so leicht übersehen, auch durch geistliche Spionen bis auf die verborgensten Winkel ausgekundschaftet werden konnte; aber gewiß nicht unwahrscheinlich: wenigstens war das Lied Luthers: Ein feste Burg ist unser Gott, frühzeitig hier bekannt; und wurden nicht die Schriften Luthers hie und da verbreitet, nicht selbst im Wirzburgischen Bisthume verbreitet?

Paulus Speratus
Paulus Speratus

Eignete doch Paulus Speratus das von ihm ins Teutsche übersetzte Buch Luthers: "Von dem allernöthigsten, wie man Diener der Kirche welen und eynsetzen sol, 1524 den Einwohnern der Hauptstadt zu, und erklärte die Absicht seiner Zueignung dadurch deutlich genug, daß er in der Vorrede sagt:" Es muß yhe dazu kommen, daß eyn yeder nun seynem haus doheym, sich selbst des worts, alleyn odder mit etlichen seynen nachbarn, unterstehe, so fiel er kan, ynn demütigem geyst und forcht Gottis zu predigen, on zweyffel der geyst gottis werd seyn leyter nun alle wahrheyt seyn, durch daßelbig wort gottis, das ehr yhm und andern nutzen möcht, sonst ist es gar verloren". Selbst in Schweinfurt war dies der Fall; wenigstens hatte der Ritter Adam von Schaumberg seinen Layen-Spiegel auch um deßwillen 1522 dem damahligen obersten Burgermeister Hocloch zugeeignet, damit er ihn in seinem Mittel, und besonders unter der niedern Volksklasse, weiter bekannt machen möchte. "Demnach, schreibt der edle Ritter daselbst, ist mein fleyßigst bitt, wo euch diß mein einfeltigs fürgenommens werk wol gefallen wil, bestendig und für nütz geachtet und angesehen behülflich zu sein, das es dem armen gemeinen volck zu leysther unterrichtung, wes sie glauben sollen, also verteutscht, in den druck und ausbreyt werden möcht, da durch unns der almächtig got in seiner göttlichen und unnsers nechsten lieb erleucht, unnd wir das crewtz christi zu tragen willig und seines götlichen reichs, durch seine barmherzigkeyt entpfintlich werden, euch solcher mühe unnd fleys vmb gemeines christenlichen nutz willen nicht beschwehen lassen, und den lon von göttlicher mildigkeit verhoffen zeentpfahen."

Auch einige schon damahls übersetzte Bücher des N.T. (Anm.: Neuen Testaments) müssen hier in Umlauf gekommen seyn; denn in dem Sendbriefe eines Schweinfurtischen Bürgers, der 1524 heraus kam, und von welchem weiterhin die Rede werden wird, sind ganze Stellen daraus wörtlich angeführet, besonders aus dem Briefe an die Epheser. Nun dann setzten sich die lernbegierigen Bürger zusammen, eröffneten in einem abgesonderten Zimmer des Hauses bey verschlossenen Thüren und einer schimmernden Nachtlampe ihr Heiligthum, lasen, nachdem sie sich wechselseitig die tiefste Verschwiegenheit zugesichert hatten, mit einer Lernbegierde darinn, machten ihre Glossen darüber, so wie sie ihr gesunder Menschenverstand darboth, bemerkten die Täuschungen, womit sie bisher hingehalten, und die Vorurtheile, wovon sie gefesselt worden waren, öffneten der besseren Überzeugung hren empfänglich gewordenen Geist, und freuten sie des Trostvollen Lichtes, das ihnen aufgegangen war.

Überhaupt traten viele Anhänger Luthers, Mehrere, die gleichstimmig mit dem großen Reformator in manchen Punkten dachten, frühzeitig in Franken auf.  Im Wirzburgischen allein muß ihre Anzahl sehr beträchtlich gewesen seyn; weil keine Stadt, kein Dorf oder Flecken von der Lehre Luthers frey blieb und in der Residenzstadt Geistliche und Weltliche, Rathsherren und Bürger, Hohe und Niedere derselben anhingen. So gar der Fürst-Bischof Lorenz von Bibra hatte ungemein viele Geneigtheit für den Mann, der durch muthige Unternehmungen sich bereits als Kirchen-Verbesserer angekündigt hatte. Die Aeußerungen derselben sind zu schön, als daß sie nicht auch hier eine Stelle finden sollten.

Luther hatte 1518 eine Fußreise nach Heidelberg gemacht, um daselbst einem allgemeinen Convente seines Ordens beyzuwohnen; sein Weg ging eben durch Wirzburg, und er säumte nicht, daselbst bey Hof seine Aufwartung zu machen; was aber damahls kein Bischof Teutschlands gethan haben würde, das that Lorenz von Bibra: er nahm den schon als Ketzer berüchtigten Augustiner-Mönch ungemein freundschaftlich auf, und entließ ihn ebenso freundschaftlich. Papst und Fürsten wandten alles mögliche an, um Luthern den Schutz seines Landesherrn zu entziehen; aber Lorenz von Bibra nahm sich 1519 des bedrängten Mannes thätig an, legte bey dem Churfürsten Friedrich dem Weisen, seinem Freunde, eine dringende Fürbitte für ihn ein und bat in einem eigenhändigen Schreiben: daß er den frommen Mann, D. Martinus ja nicht wegziehen lassen sollte; denn es geschähe ihm Unrecht. Selbst über viele Dinge, die man bisher als zum Wesen der katholischen Religion gehörig betrachtet hatte, hegte der Einsichtsvolle Bischof eben dieselbigen Grundsätze, wie Luther: nur sparsam und selten ließ er Ablaßkrämereyen in seinem Bisthume zu, und es hielt immerhin schwer, die Erlaubniß dazu bey ihm auszuwirken; den Nonnen-Klöstern war er so wenig hold, daß er jedem Vasall, der irgendein Kapital zur Ausstattung einer geistlichen Tochter aufnehmen wollte, seine verlangte Einwilligung dazu versagte, lieber zu einer Verheirathung rieth und die Aussteuer, wenn es daran fehlen sollte, selbst vorzuschießen sich erboth. Schade für den helldenkenden Bischof daß er ( denn er starb schon 1519 ) die weitern Efolge der Reformation nicht mehr erlebte! er würde wahrscheinlich seine bessern Einsichten, womit er in seiner Lage und in der damahligen Zeit noch zurück halten müßte, sichtbarer dargeleget, manchen herrschenden Mißbrauch, den er jetzt mit weiser Herablassung begünstigte, abgeschafft und vielleicht gar der neuen Lehre beyzutreten sich entschlossen haben: das vermutheten wenigstens schon seine Zeitgenossen.

Sein Vorgang wirkte indessen schon genug; und nach seinem Tode fand Luther immer mehrere Freunde im Wirzburgischen. Domherren verheiratheten sich, und vertheidigten, da sie deßhalb zur Verantwortung gezogen wurden, die Rechtmäßigkeit der Priesterehe ganz im Geiste des Wittenbergischen Reformators; Mehrere zogen über dieß der neuen Lehre wegen, die sie zu anhänglich liebten, aus Wirzburg hinweg. Auch die Fränkischen Ritter und Edelleute in und außer dem Wirzburgischen Gebiethe nahmen größten Theils (vielleicht mit unter aus politischen Rücksichten) die Partey Luthers, und luden ihn entweder zu sich ein; oder nahmen seine Abgesandten bereitwillig auf.

Franz von Sickingen
Franz von Sickingen

Johann zu Schwarzenberg, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Sylvester von Schaumberg stehen billig unter denselben oben an. Der Erste war mutig genug, die erkannte Wahrheit auch dadurch zu bethätigen: daß er seine Tochter einem Nonnen-Kloster, worinn sie ihre jungfräulichen Tage ihrer weiblichen Bestimmung zuwider verschmachten sollte, wieder entriß, wozu ihm Luther schriftlich Glück wünschte; und der Letzte hatte den muthigen Kirchen-Verbesserer in einem eigenhändigen Schreiben aufgefordert nach Franken zu kommen, wo der ganze Adel seine gute Sache fördern würde. Der unauslöschliche Haß Franzens von Sickingen gegen Papst und Päpstler ist ohnehin bekannt genug, nicht minder die Anhänglichkeit Ulrichs von Hutten an Luthern, die sich dadurch so auffallend äußerte daß er auf dem Tittelblatte des Buchs: die Römische Dreyfaltigkeit, sein und des so harmonisch mit ihm denkenden Mannes Bildniß neben einander setzen ließ, auch so gar mit 100 tapfern Rittern in Franken und in Schwaben sich zum Kampfe für ädle teutsche Freyheit rüstete, den Luther durch Sprechen und Schreiben begonnen hatte. Selbst unter dem katholischen Clerus des Frankenlandes gab es Männer von vortrefflichen Einsichten in den Geist der Religion, Männer, die die Mißbräuche und Ausartungen des bisherigen Lehrbegriffs mit hellem Blicke einsahen, und schon manche Rückschritte zur ersten Reinigkeit der neutestamentischen Religion gethan hatten: davon zeugen unwidersprechlich diejenigen Rathschläge, die 1524 von Henneberg, Wertheim, Nürnberg, Windsheim und Rothenburg an den Markgrafen Casimir eingesandt wurden und meistens Männer aus der katholischen Kirche zu Verfassern hatten; davon ist die Vertheidigungs-Schrift zweyer Nürnbergischen Pröpste, Georg Peslers und Hektor Böhmers, worinn die Gründe und Ursachen aus der heiligen Schrift angegeben sind, wie und warum sie die Mißbräuche bey der heiligen Meß, Jahrtag, geweihet Salz und Wasser, sammt etlichen anderen Ceremonien abgestellet, unterlassen und geändert hätten, ein redender Beweis; dazu lassen sich überhaupt vielfache Belege auffinden.

Natürlich aber mußte diese Anhänglichkeit an Luthern und diese Uebereinstimmung mit seinen Grundsätzen sich auch in Schweinfurt ausbreiten, wo der Vorgang wichtiger Nachbarn von jeher so vielen Eindruck machte, und der Einfluß der Fränkischen Ritterschaft immerhin bedeutend genug war. Wirklich erklärten sich nun einige der hießigen Bürger öffentlich für Luthern. Dahin gehört nicht nur der oben angeführte Bürgermeister Hoeloch, den Adam von Schaumberg öffentlich als einen Anhänger der warrlichen, unzerstörlichen, ewig bleibenden, evangelischen Lehre bezeichnet; sondern auch ein gewisser Leinenweber Hans Mörlin, der hier eine besondere Erwähnung verdienet, zumahl da die Annalen unserer Vaterstadt gänzlich von ihm schweigen, und bloß eine 1524 im Druck erschienene Schrift desselben sein Andenken noch erhalten hat. Durch die Lektüre der Schriften Luthers und besonders seiner bereits übersetzten Bücher des Neuen Testaments aufgehellt, dachte der von der Natur gar nicht versäumte Laye über vieles ganz anders, als es noch von den Schweinfurtischen Kanzeln herab geprediget wurde; länger konnt` er dem innern Drange seines Herzens nicht widerstehen, der sich jedesmahl empörte, so oft ein Vortrag gegen seine bessere Ueberzeugung gehalten ward; öffentlich in der Gemeinde erklärte er sich gegen Sätze, die unvereinbar mit Vernunft und Schrift ihn däuchten, und war muthig genug, durch laute Widersprüche den geistlichen Redner zu unterbrechen. Das war nun freylich etwas bisher Ungewöhnliches, vielleicht auch ein bißchen unbescheiden; aber hauptsächlich in jedem Betrachte viel gewagt; da seine Mitbürger und Mitbürgerinnen noch nicht durchgehends gleich mit ihm dachten, und gewiß vorher zu sehen war: daß die beleidigten Pfarrer auf Rache sinnen würden. Am Michaelis-Tage war er wieder gegen den Kaplan Kreidner in der St. Kilians-Kirche ffentlich aufgetreten, und nun wurde er von dem hiesigen Rathe vorgefodert, um Rechenschaft über sein Betragen abzulegen; aber auch der bestrafende Vorhalt, der ihm gethan wurde, vermochte ihn nicht zu schrecken; er verantwortete sich nicht nur standhaft, sich auf die Aussprüche Paullus stützend: daß wir das, was Gott wohlgefällig sey, prüfen, und die Worte der Finsterniß strafen sollten; daß wir nicht mehr Kinder seyn und uns wägen und wiegen lassen dürften von allerley Wind der Lehre durch Schalkheit und Täuscherey der Menschen; sondern ließ nun auch einen eigenen Sendbrief an den Kaplan Kreidner im Druck ausgehen, worinn er die geläuterten und vortrefflichen Grundsätze aufstellt:

"Das Fasten sey Menschenlehre, und das Verhalten Christi, Johannis und Mosis in diesem Falle nicht verbindlich für uns; Bedrängten helfen, das heiße nach der Schrift recht gefastet, und Liebe gegen alle Menschen, auch gegen die Feinde, beweisen, das seyen eigentlich gute Werke; nicht deßwegen habe Gott die Einwohner zu Ninive erhöret, weil sie 3 Tage und 3 Nächte gefastet, sich in Säcke gehüllet und mit Asche bestreuet, sondern deßwegen, weil sie ihren Lastern entsaget hätten; das Gelübde der Keuschheit und Reinigkeit sey verwerflich, und jeder mit der Natur von Gott begabte Mensch dürfe heirathen; überall, nicht bloß in der Kirche, sey Gottes Tempel. Nebenher vertheidiget er den unüberwindlichen Doktor, züchtiget die falschen Lehrer, und rüget besonders die befleckte Reinigkeit des lieben Bruders Valentin, von der gar gröblich zu reden wäre: alles mit einer unverkennbar gesunden Vernunft, und immer gestützt auf die Schrift, aus der er durchaus die passendsten Stellen auszuheben weiß. Gewiß ein würdiger Geschäfftsträger der Reformation, der vielen Hohen und Niedern in unserer Vaterstadt die Augen öffnete und die Schuppen derselben löste!

Dazu trugen denn unstreitig das Ihrige diejenigen Beschwerden bey, die auf dem Reichstag zu Nürnberg 1522 und 1523 von den Ständen des Reichs zusammen verfaßt wurden, und welche ohne Zweifel auch zur Kenntniß des hiesigen Rathes gelangen mußten; wenn er nicht selbst wirklichen Antheil daran nahm. Der Päpstliche Gesandte, Eheregati hatte einmahl, so sehr er auch übrigens das Wormser Edikt zur Vollziehung gebracht wissen wollte, mit einer Römischen Politik as freymüthig scheindende Geständniß vor der Reichsversammlung abgeleget: daß der heilige Stuhl schon mehrere jahre her ungebührlich gehandelt  und viele Mißbräuche getrieben habe; er hatte zugleich nicht nur sein schon oft darüber empfundenes Mißfallen bezeuget, sondern so gar versprochen, allen jenen Mißbräuchen abzuhelfen und die Reformation von dem Haupte selbst anzufangen. Dieß faßten (was wohl der schlaue Eheregati nicht vermuthet haben mag) die versammelten Stände des Reichs sogleich auf und setzten sich zusammen, um alle Beschwerden, die Teutschland schon seit Jahrhunderten gegen die heiligen Väter führte, zu verzeichnen und an den zur Verbesserung so bereitwilligen Adrian zu überschicken. (Anmerkung: gemeint ist Papst Hadrian VI.)

Hadrian VI.
Hadrian VI.

Aeußerst freymüthig war die Sprache, die sie darinn führten; mit starken und männlichen Ausdrücken ließen sie sich über die Anmaßungen des Papstes, über den Mißbrauch, den er mit Teutschen Pfründen treibe; über die Eingriffe seiner Nuntien in die weltliche Gerichtsbarkeit Teutscher Staaten und Länder; über die vielfachen Künste, wodurch seine Höflinge Präbenden (Anmerkung: anderes Wort für Pfründe) an sich zu ziehen wüßten; über die Vorladung weltlicher Personen nach Rom und ihre Bannung daselbst; über die weite Ausdehnung, die Erzbischöfe und Bischöfe ihrer geistlichen Jurisdiktion gäben, und über das schändliche Interesse, wodurch sie oder ihre Suffragane (Anmerkung zu Bedeutung:  jedes zu Sitz und Stimme (suffragium) berechtigte Mitglied eines Kollegiums von Geistlichen) verleitet würden, diejenigen zu Pfarrern zu setzen, die die meiste Barschaft erlegen könnten, übrigens aber die ungelehrtesten und leichtfertigsten Menschen wären; über das unkeusche Betragen der Cleriker, dessen gerichtliche Bestrafung gewöhnlich durch Geld abgekauft würde, über die Wirthschaften, Geldschneydereien und Gewinst-Erzielungen; über die Brandschatzungen terminirender Mönche, über die Ungebundenheit derer, die einmahl die Weihe empfangen hätten und um deßwillen von aller bürgerlichen Strafe frey zu seyn wähnten; über die elendigen Prediger, die anstatt des göttlichen Wortes Legenden und Fabeln vortrügen; über die Erbschafts-Erschleichungen der Beichtväter bey Sterbenden, wodurch die Hinterbliebenen oft in die größte Noth und Dürftigkeit gesetzt würden; über die ärgerliche Ablaßkrämerey, die in Teutschland getrieben würde und so schrecklich in ihren Folgen wäre; über die Menge der Feyertage, die bloß des Opferns wegen begangen würden, und so viele Gelegenheit zur Sünde gäben; über das Kostspielige bey dem Weihen der Kirchen, Altäre, Glocken und anderer zur Messe gehörigen Dinge; über Dultung, die Hurerey, Ehebruch und Wucher bey geistlichen Gerichten gegen Bezahlung fänden; über die vielen Geldbußen, die dem armen Volke auferlegt würden, und über viele andere Mißbräuche heraus.

Freylich waren das meisten Theils Klagen, die die Religion, wie sie bisher war, nicht zunächst betrafen, und welche abgethan werden konnten, ohne daß eine gänzliche Reform nöthig ward; aber dadurch wurde doch manche Bschwerde, die die geringeren Stände des Reichs nur dunkel gefühlet, aber bey sich verschlossen gehalten hatten, mächtig aufgereget und gleichsam an jene allgemeinen Beschwerden angekettet; dadurch wurde nicht nur das elende Verhältniß, in welchem die Teutschen sich bisher gegen Papst, Bischöfe und Geistliche befanden, in ein sehr helles Licht gesetzt, sondern auch die tiefe Achtung, die man für die Heiligkeit des Römischen Stuhls hatte, um vieles geschwächt, und dem Luther, der gegen alle Mißbräuche des Papstes und der katholischen Kirche hervorgetreten war, weit mehr Eingang verschafft. Beynahe getraue ich mir zu behaupten: daß dieß auch die Folge bey den hiesigen Volks-Repräsentanten gewesen sey; und wenn gleich durch jene Beschwerden keine weitern Religions-Aufklärungen in Schweinfurt höhern Ortes veranlasset wurden: so verscheuchte doch gewiß der Muth, mit dem die Stände des Reichs gegen Papst, Bischöfe und Geistliche aufgetreten waren, und die Entschlossenheit, mit der sie zuletzt erkläret hatten: daß sie alle bisher gedultete Lasten nicht länger dulten, und, wenn sie nicht abgestellet würden, selbst auf Mittel dazu denken würden, manches von jener allzugroßen Schüchternheit, mit welcher der hiesige Rath bey der ganzen Reformations-Sache zu Werke ging. Desto besser aber wirkte ein Separat-Convent, welcher 1524 zu Windsheim von einigen Fränkischen Reichsständen gehalten wurde, und woran auch die Reichsstadt Schweinfurt Theil nahm. Diese Versammlung gründete sich eigentlich auf dem Abschiede, der eben in diesem Jahr auf dem Reichstag zu Nürnberg gemacht worden war, und worinn den Churfürsten und Fürsten, besonders denen, die hohe Schulen in ihrem Gebiethe hätten, anbefohlen wird: daß sie durch ihre Gelehrten und Räthe die neue Lehre, vorzüglich das, was strittig darinn wäre, in einen Auszug bringen lassen sollten, damit dieser Auszug auf dem nächsten Reichstag zu Speyer vorgeleget, und desto besser mit den Verhandlungen darüber vorgeschritten werden könnte.  

Casimir zu Brandenburg
Casimir zu Brandenburg

Dieser Abschied war zu günstig, als daß die Fränkischen Stände nicht sogleich Gebrauch davon hätten machen sollen; noch ehe der Reichstag ganz zu Ende ging, nahmen schon Markgraf Casimir zu Brandenburg , Graf Wilhelm zu Henneberg und der Rath zu Nürnberg die Abrede: daß sie auf Bartholomäi-Tag zu Windsheim zusammen kommen und der strittige Lehre wegen rathschlagen wollten. Der Convent ward wirklich eröffnet; und die Theil nehmenden Reichsstände waren  Markgraf Casimir zu Brandenburg  in seinem und seines Bruders Georg Nahmen, die beyden Grafen Wilhelm und Berthold zu Henneberg, die beyden Grafen Georg und Wilhelm zu Wertheim, der Graf Johann zu Castell, der Graf Philipp von Rehweiler, die Grafen Eberhard Schenk und Gottfried von Limburg, Johann von Schwarzenberg, und die Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Windsheim und Schweinfurt. Das erste, was hier verging, bestand darinn: daß sie, zu Folge der Reichsordnung einen Regiments-Rath aus dem Fränkischen Kreise an das Kaiserliche Reichs-Cammergericht zu wählen, und, wenn er nicht angenommen werden sollte, ihre Reichs-Anschläge nicht zu entrichten, auch bey jedem Zwange, der dem einen oder dem anderen deßhalb auferlegt würde, gemeine Sache mit einander zu machen beschlossen; dann berathschlagten sie sich: wie sie allen den Beschwerden, die sie von den Erzbischöfen, Bischöfen, Prälaten und ihren Officialen und anderen geistlichen Richtern erdulten müßten, durch schickliche Mittel und Wege abhelfen möchten; hautsächlich aber verglichen sie sich, um den obigen Reichsabschied in Erfüllung zu bringen, dahin: jeder weltliche und Theil nehmende Stand des Fränkischen Kreises sollte durch etliche ehrbare, redliche und verständige Räthe des geistlichen und weltlichen Standes über 23 Artikel, die auf Befehl des Markgrafen Casimir verzeichnet und als ein Auszug der streitigen Lehre angesehen wurden, einen Rathschlag aufsetzen lassen, worinn mit unwidersprechlichen Gründen aus der heiligen Schrift dargethan würde, was in solchen Artikeln zu glauben und zu halten christlich und gut sey. Markgraf Casimir machte sogleich Veranstaltung dazu; so sehr sich auch Bischof Conrad von Wirzburg dagegen auflehnte, und die schriftliche Versicherung von Kaiser Karl V. erhalten zu haben vorgab: daß der letzte Nürnbergische Reichsabschied unangenehm gehalten würde. Auch die übrigen Stände schickten, nachdem sie sich zuvor noch einmahl, weil indessen wirklich ein ungünstiges Schreiben von Kaiserlicher Majestät eingelaufen war, zu Rothenburg an der Tauber, jedoch ohne Abänderung ihres Vorhabens berathschlaget hatten, größten Theils ihre Gutachten ein: nahmentlich der Graf zu Henneberg, der Graf zu Wertheim, Nürnberg; Rothenburg und Windsheim; nur die Reichsstadt Schweinfurt nebst einigen anderen nicht; vielleicht aus Mangel an gelehrten Leuten unter ihrer Geistlichkeit, oder aus Furcht vor dem mächtigen Nachbar, der sich schon gegen den Markgrafen Casimir so empfindlich heraus gelassen hatte, oder weil ein Schreiben von Kaiserlicher Majestät angelangt war, worinn der Nürnbergische Reichsabschied verworfen, und noch ein Schreiben , worinn ernstlich anbefohlen wurde, über das Wormser Edikt zu halten.   

Indessen hatte doch Schweinfurt bereits einer Versammlunf beygewohnt, wo die weltlichen Stände des Fränkischen Kreises ihre kirchlichen Hoheits-Rechte (ius circa Sacra) wieder zu behaupten anfingen, und war durch die Verhandlungen der neuen Lehre wegen, und durch die Austauschung  mancher sie betreffenden Ideen auf diesem Convente schon etwas vertrauter mit den von Luthern in Anregung gebrauchten Religions-Punkten, und der Annahme derselben dadurch schon ziemlich näher gerückt worden, daß es mit den übrigen anwesenden Ständen die verbindliche Abrede genommen hatte, mittlerweile das heilige Evangelium und das Wort Gottes nach seinem wahren und eigentlichen Verstande, ohne Aufruhr und Aergerniß predigen zu lassen.

Und welche vortreffliche , so ganz mit Luthers Aeußerungen übereinstimmende Grundsätze waren nicht in den eingelaufenen Gutachten  aufgestellt! "Das Evangelium, so wird unter andern im Brandenburgischen Rathschlage gesagt, bedürfe der Bestätigung der Römischen Kirche nicht; die Sünden müssten nicht einmahl im Jahr den Mönchen und Pfaffen, sondern ohn Unterlaß Gott gebeichtet werden, der dann so getreu sey, daß er sie erlasse; jedem Christglaubigen müsse der Leib und das Blut Christi im Brod und Wein dargereichet werden; auch dürfe dieß Sakrament nicht in Monstranzen und Sakrament-Häuschen umher getragen werden: weil Gott im Geist und in der Wahrheit angebethet werden solle; die Päpste hätten außerhalb des göttlichen Wortes nichts, das die Seelen und das Gewissen der Menschen betreffe, zu setzen und zu gebiethen; rechter Glaube sey allein zur Seligkeit genug, aus welchem aber Liebe und gute Werke flößen.

Es gebe, so sagen die Verfasser des Hennebergischen Rathschlages, nur 2 Sakramente; die Ohrenbeicht sey von Gott nicht gebothen; weder dem Papste noch den Bischöfen sey in einigen Fällen zu absolviren vorbehalten, und der Ablaß lauter Betrügerey; der Kelch werde den Layen unbillig entzogen; das Sakrament des Leibes Christi dürfe nicht in Monstranzen und zierlichen Sakrament-Häuschen umher getragen werden; weil des Menschen Herz der wahre Tempel Gottes sey; durch die Messe werde, wenn man ein Opfer daraus mache, das Christi verläugnet; dem Priester dürfe ein eheliches Weib zugelassen werden; durch das Verdienst Christi und durch den Glauben an dasselbe erlange man Vergebung der Sünden, dieser Glaube aber bringe jederzeit seine Früchte, nähmlich gute Werke; die Heiligen dürfe man ehren, aber kein Vertrauen auf sie setzen, auch die Bilder nicht anbethen; Ceremonien könnten um der Schwachen willen gedultet werden, seyen aber, wenn das Innere nicht mitgehe, verwerflich; keine Speise sey verbothen, sondern den Reinen alles rein; Papst, Bischöfe und Concilien könnten irren; nicht der Papst, sondern Christus sey das Haupt der Gemeine.

Sakrament-Häuschen und Monstranzen zu haben, wird in dem Wertheimischen Rathschlage, mit dem der zweyte Rothenburgische genau und wörtlich übereinstimmt, gelehret, sey ohne Noth; da das Sakrament des Leibes Christi zum Genusse eingesetzt sey und nicht deßwegen, daß man von einem Orte zum andern damit prange; man dürfe kein steinernes oder hölzernes Bild haben, da dieß schon im Alten Testament so ernstlich verbothen, und dieß nur eine steinerne und hölzerne Andacht sey, auch Christus damit verläugnet werde.

Der Papst, erweisen die Aussteller der beyden Nürnbergischen Rathschläge, sey der Antichrist, von welchem das Neue Testament rede, Christus sey im Brod und Wein warrlich gegenwärtig zu Speise und Trank der Seelen.

Im Windsheimischen Rathschlage wird endlich erörtert: das Behalten und Umhertragen des Sakraments des Leibes Christi in Monstranzen sey Menschenerfindung; es brauche keines Meßopfers; da Christus für alle genug gethan und alle Dinge wohl gemacht und vollbracht habe; er werde bloß um des Geldes willen auf ewig geopfert und gemartert; die Menschen würden durch den Glauben gerecht; aus dem Herzen müßten Bildnisse, Anrufung und Heimsuchung der abgöttischen Gräber der Heiligen gerissen werden."

Alle diese unkatholischen Grundsätze Fränkischer Nachbarn mußten gewiß dem Schweinfurtischen Rathe, als Theilnehmer der Windsheimischen Verhandlungen bekannt werden, und die Wirkung davon war eben so gewiß die beste in seinem Mittel; wenn sie aber auch nicht zur Kenntnis desselben gelangt seyn sollten, da er sich meist zurück gezogen zu haben scheint; so ging doch der Brandenburgische Rathschlag nachher zu Nürnberg in Druck aus; und welche Sensation mußte er dann nicht auch in Schweinfurt machen, da er zuverläßig nicht ungelesen blieb! "Ohne Zweifel, sagt von der Lith, hat dieß Werk den Franken die Augen aufgethan, und den Fortgang der Reformation nachdrücklich befördert."

Jede Revolution aber, sie sey nun von religiöser oder politischer Art, erfordert immer eine gewisse Gährung, um den neuen Ideen mehr Umlauf, oder eine wohlthätige Reibung zu verschaffen; und von dieser bisher meist übersehenen Seite muß der bekannte, mitten unter der Reformation Luthers ausgebrochene Bauern-Krieg meines Bedünkens betrachtet werden. Es war nähmlich das Jahr 1525, wo die Bauern, freylich irre geleitet durch das aufgegangene bessere Licht, von dem sie als rohe, bisher der Finsterniß gewohnte Kinder der Natur noch nicht zweckmäßigen Gebrauch zu machen wußten, und sich eine Freyheit vorspiegelnd, die in unserer Sphäre, wenigstens in der damahligen Welt noch nicht zur Wirklichkeit kommen konnte, sich in Schwaben und Franken zusammen rottierten und in mehreren Heerszügen aufbrachen, um, laut ihrer 12 ausgestellten Artikel, das reine Evangelium fördern zu helfen, sich von allen bisher erdulteten Bedrückungen zu befreyen und unbillig entrissene Rechte sich wieder zu verschaffen.

Ein Hauffe derselben spielte auch in dem benachbarten Bisthume seine Rolle; und selbst Schweinfurt mußte sich endlich in seine Absichten und Pläne verwickeln lassen. Der hiesige Rath hatte zwar zeitig genug Hülfe bey den benachbarten Kreis-Ständen gesucht, und sich besonders an den Rath zu Nürnberg deßhalben gewandt; aber daher die so gar nicht Trostvolle Rückerklärung erhalten: "der Bauern gewaltthätige Handlung wäre ihnen zwar aufs höchste zuwider und beschwerlich, hätten auch bey den Ihrigen möglichsten Fleiß angewandt, damit sie sich zu keinen Empörungen bewegen ließen; es wollte aber dieser Zeit gemeiner Stadt höchste Nothdurft erfordern, zur Bewahrung und Schützung der Städte und Flecken auf das stattlichste gefaßt zu sitzen, in Hoffnung, die Unterthanen desto mehr zu erhalten, daß sie desto minder dem Haufen zuliefen, und dieselbe nicht noch größer und stärker würden". Verlassen von Allen vermochte also die hiesige Orts-Obrigkeit keinen Widerstand mehr zu thun, und mußte um so mehr ihre Thore öffnen, da es von 1513 her, wo die ganze Bürgerschaft, durch einige unruhige Köpfe veranlaßt, sich förmlich empöret hatte, bey einigen Einwohnern noch gähren mochte. Die Bauern nahmen Besitz von Schweinfurt, und schrieben nicht nur einen eigenen Landtag hieher aus, wo von guten Ordnungen des Wortes Gottes, auch Friedens und Rechtens, sonderlich aber der Obrigkeit und anderer Sachen halben gehandelt werden sollte; sondern fielen auch in Verbindung mit mehreren Bürgern (ohngefähr der sechste Theil hatte gemeine Sache mit ihnen gemacht) in das benachbarte Hennebergische Ort Maynberg ein, und plünderten das Gräfliche Schloß daselbst. Schweinfurt mußte dieß Anfangs theuer genug büßen: es ward in die Acht erklärt; und alle Fürbitten, die der Rath zu Nürnberg bey dem Bundeshauptmann Truchseß von Waldburg einlegte waren vergeblich.   

Truchseß Georg von Waldburg
Truchseß Georg von Waldburg

Die beyden Nürnbergischen Abgesandten, Christ. Kreß und Clem. Volkamer  mochten immer dahin beordert seyn: " bey den Bundes-Ständen nichts zu unterlassen, was sie Wirzburg und Schweinfurt, welches gleichwohl eine Reichsstadt, jederzeit redliche Leute gewest, und dießmahl durch die Bauern überwältiget und gemüßiget worden, daß sie ihnen beypflichten müssen; " sie thaten, was sie konnten; aber ihre Verwendungen blieben ohne Erfolg. Georg von Waldburg näherte sich mit seiner Armee; und Schweinfurt mußte sich eben so gutwillig ergeben, als es vorher den Bauern sich hatte unterwerfen müssen. Ihm wurden bald darauf von den Bundes-Ständen, die in dem Monathe Julius hieher kamen, die harten Bedingungen vorgeschrieben: daß es für Brand und Plünderung 5000 Gulden bezahlen; die den Bunds-Verwandten abgenommenen Sachen , was nähmlich noch davon vorhanden wäre, wieder heraus geben, Kaiserlicher Majestät in der Person des Grafen Wilhelms von Henneberg aufs Neue huldigen; alle Gewehre und Waffen Georgen von Waldburg überliefern, und die Urheber des Aufruhrs überantworten sollte."

Zugleich wurden auch einige aufrührische Bürger nebst andern Wirzburgischen, Brandenburgischen und Ritterschaftlichen Unterthanen zur verdienten Strafe gezogen. Das war denn auf diese Art eine für Schweinfurt traurige Revolution; aber in ihr lag zuverläßig ein Grund mit, warum die Reformation hier eher Eingang fand. Es wäre überhaupt für den philosophischen Geschichtsschreiber eine Untersuchungswürdige Frage: Ob nicht durch den Bauern-Aufruhr in Schwaben und Franken der neuen Lehre Luthers und ihrer Verbreitung mehr Vorschub gethan, als Hinderniß in dem Weg gelegt worden sey; da man von jeher immer das Letztere glaubte. Ganz kann zwar das Verfahren der unruhig gewordenen Landleute nicht entschuldiget werden, ohnerachtet ihnen selbst Luther Anfangs viele Gerechtigkeit wiederfahren ließ, und den Regenten eine harte Lektion las; aber annehmen läßt sich doch: daß der Fortgang der Reformation und die Ausbreitung der reinen Lehre nicht überall auf Vorwand, sondern auch Absicht des Aufstands gewesen sey; da man hie und da, und zu Wirzburg insbesonderheit, wirkliche Vorschritte dazu gemacht, katholische Gottesdienste eingestellt, und evangelische Predigten angeornet, auch die Personen des höhern und niedern Clerus hauptsächlich zum Gegenstand einer scharfen Züchtigung gemacht sah. Behaupten läßt sich doch eben so zuverläßig: daß durch die Bauern-Unruhen manche bessere Religions-Grundsätze, sie mochten nun absichtlich oder unabsichtlich mit denen des Luthers gleichlaufend seyn, in den Seelen der Niedern gleichsam gewaltsam aufgeregt, oder doch in mehrern Umlauf gesetzt wurden, da sie ohne dieselbe und bey mehrerer Stille von außen vielleicht noch lange geschlummert, oder in ihrem Umkreise sich nicht so sehr erweitert haben würden. Uund hoffen konnte man schon damahls: daß Fürsten und Bischöfe daran ein warnendes Beyspiel nehmen und nun weniger gewaltsam gegen die Anhänger Luthers in ihren Ländern vorschreiten würden, um nicht aufs Neue ein Feuer aufzuregen, das, wenn es nicht noch glücklich gedämpft worden wäre, zerstörend für ganz Teutschland hätte werden können, das aber auch über kurz oder lang eben so leicht wieder losbrechen konnte. 

Sagen konnte man etwa: durch die traurige Niederlage der Bauern wäre der durch sie verbreitete Geist der Reformationauf einmahl wieder erstickt worden; allein Grundsätze lassen sich nicht durchs Schwert, nicht durch Gewaltthätigkeiten ausrotten; vielmehr erzeugt der Druck von außen nur noch größere Anhänglichkeit an sie, und diese steigt mit jenem: wenigstens war, nachdem die Bauern keine Todtsünde mehr darinn gefunden hatten, Bischöfe und Cleriker zu züchtigen, kein gar großer Schritt zu der muthigen Entschließung, sich von geistlichen Herren nicht weiter zu tyrannisieren zu lassen. Dieß läßt sich genau auf die Reichsstadt Schweinfurt anwenden. Der Rath daselbst mag immerhin durch die ihm so gefährlichen Bauern-Unruhen in seinem Mittel dem Ziele der Reformation nicht näher gekommen, un die Richtung, welche die Gemüther vieler hiesigen Einwohner nahmen, nicht die beste gewesen seyn; genug der alte Sauerteig wurde doch bey dieser Gelegenheit aufgerührt und in Gährung gebracht; das Wort Gottes anstatt der Menschensatzungen hervor gezogen und empfohlen, und, wenn gleich nicht über alle, doch über manche Gegenstände des Evangeliums Licht verbreitet; genug mancher Bigotte wurde doch durch den Umgang mit Männern, unter welchen viele Anhänger Luthers, wenigstens gleichstimmig mit ihm Denkende waren, mehr als durch alles andere eines Besseren belehrtet und mancher Weitersehende dadurch in seiner bessern Ueberzeugung bestärkt, mancher auch wohl von seiner blinden Achtung des Papstes, der Bischöfe und der Geistlichkeit merklich zurück gebracht. Schade daß die Annalen unserer Vaterstadt nicht bestimmtere Aufschlüsse hierüber ertheilen!

Desto heller liegt es am Tage, daß der Vorgang so mancher Nachbarn, die die Reformation öffentlich begünstigten, einen entscheidenden Einfluß auf die Reformations-Veränderung in Schweinfurt hatte. Mehrere Städte, Flecken und Dörfer in Franken hatten sich bereits laut für die neue Lehre erkläret; oder waren nun im Begriffe dieß zu thun.

Andreas Osiander, geb. 19. Dezember 1498
Andreas Osiander, geb. 19. Dezember 1498

Zu Nürnberg hatte Andreas Osiander 1522 die evangelische Wahrheit in öffentlichen Vorträgen zu verkündigen angefangen, und Gallus Korn, ein Franziskaner-Mönch, um derselben willen sich gedrungen gefühlt, das Kloster zu verlassen; selbst die beyden Vorsteher der Parochial-Kirchen zu St. Sebald und St. Lorenzen, Georg Pesler und Hektor Böhmer waren muthig genug gewesen, verschiedene Mißbräuche und katholische Ceremonien beym Gottesdienste ohne Zuziehung ihres Bischofs von Bamberg abzustellen; und 1525 erscheinen so gar 12 Religions-Punkte im Druck mit der erklärten Absicht: daß die sämmtlichen Prediger darüber abgehöret werden möchten; wodurch denn der Rath veranlaßt wurde, ein eigenes Colloquium über dies Punkte auf dem Rathhause anzuordnen, und, da es zum Nachtheil der Dominikaner- Franziskaner- und CarmeliterMönche ausgefallen war, den muthigen Schluß zu fassen: daß die Mönche nebst ihren Predigern ihrer Dienste entlassen seyn, Bürger werden und die gewöhnlichen Lasten mit andern tragen sollten; ohne sie und ihre Berufung auf irgend einen Urtheilsspruch der Akademien Ingolstadt, Tübingen und Heidelberg weiter zu hören.

Wenceslaus Link
Wenceslaus Link

Noch in eben diesem Jahr ward Wenceslaus Link als erster evangelischer Prediger berufen und angestellt. Zu Windsheim hatte Johann Ebner von Nürnberg 1521 die erste evangelische Predigt gehalten, bis nach und nach der ganze Gottesdienst gereinigt wurde, und 1530 der förmliche Beytritt zur Augspurgischen Confession auf dem Reichstag zu Augspurg geschah.

Zu Kitzingen war 1522 Christoph Hofmann von Anspach, der in Wittenberg studiert hatte, und deßhalben von dem gemeinen Manne der junge Luther genannt wurde, als der erste evangelische Prediger angenommen worden; 1523 aber hatte der Pfarrverweser Schenk von Sinau, zuvor Franziskaner-Mönch, nebst Georg Flurheim die Papistischen Ceremonien abgeschafft und das Abendmahl unter beyderley Gestalt auszutheilen angefangen, so daß seinem Nachfolger Martin Wegelein, eben demselben, der 1530 Markgrafen Georg auf den Reichstag nach Augspurg begleiten mußte, nichts als die Vollendung der glücklich begonnenen Kirchenreform übrig geblieben war.

Ueberhaupt war in allen Anspachischen Ortschaften von 1524 an nach dem reinen Wort Gottes zu lehren befohlen worden, ohnerachtet das Außenwerk des Katholicismus noch größten Theils bis 1528 beybehalten wurde. Zu Wertheim hatte Graf Georg schon 1522 Luthern gebethen, ihm einen evangelischen Prediger zu schicken, und vorläufig eine Besoldung von 100 Goldgulden nebst freyer Kost an seiner Tafel versprochen.

Zu Hammelburg hatte die evangelische Lehre 1524 so sehr Platz gewonnen, daß die Einwohner, der Drohung des Grafen Wilhelms von Henneberg ohnerachtet, das Wesen des Papstthums standhaft verabscheuten und nicht länger dulteten; daß die Cleriker weichen mußten, und keiner weiter Gehör fand, auch das Domkapitel zu Wirzburg sein Patronat-Recht nun nicht mehr in Ausübung bringen konnte, indem Jeder den Antrag, Lehrer der neuen Ketzer zu Hammelburg zu werden, durchaus von sich ablehnte und zurückwies. Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Reformations-Vorschritte in der Fränkischen Nachbarschaft, besonders zu Nürnberg und Windsheim, nicht ohne wohlthätigen Erfolg für die Reichsstadt Schweinfurt blieben; und wenn gleich nicht auf der Stelle und unmittelbar darauf jener würdige Vorgang nachgeahmet wurde: so ward doch dadurch vorläufig vieles von der hier herrschenden Bedenklichkeit verscheucht und Muth zu einer ähnlichen Unternehmung eingeflößt, wenigstens den hiesigen Einwohnern eine Sache immer näher vor die Augen gerückt, für die sie schon größten Theils so viele Fürliebe hatten, und der Wunsch, sich ebenfalls öffentlich für dieselbe erklären zu können, immer mehr rege gemacht; vielleicht daß man es auch nun gewisser Maßen für Schande erachtete, allein dahinten zu bleiben.

Philipp von Hessen
Philipp von Hessen

Dazu kamen denn noch die Muthvollen Vorschritte, die die angesehensten Fürsten und Stände des Reichs nun zu thun so gar keinen Anstand nahmen. Der Churfürst Friedrich von Sachsen führte 1525 die Lehre Luthers öffentlich in seinen  Ländern ein, und der Landgraf Philipp von Hessen  that eben das in dem folgenden Jahr; beyde schlossen so gar, da der Kaiser dasWormser Edikt durchaus zur Vollziehung gebracht wissen wollte, 1526 d. 12ten Jun. zu Torgau ein eigenes Bündniß, dem die Herzoge von Braunschweig-Lüneburg, der Herzog Heinrich von Meklenburg, der Fürst Wolfgang von Anhalt und die Grafen von Mansfeld beytraten, und dem zu Folge alle Verbündete sich allen nur möglichen Beystand zusicherten, wenn wider ihre Religion und die ihr anhängige Sache öffentlich, oder unter einem andern Scheine ein Angriff geschehen sollte. Selbst auf dem Reichstag zu Speyer in eben diesem Jahr bewirkten der Churfürst von Sachsen und der Landgraf von Hessen durch die Entschlossenheit, mit der sie den Reichstag verlassen wollten, den günstigen Schluß: daß das Wormser Edikt nur in so fern von einem Jeden gehalten werden sollte, wie er sichs gegen Gott und den Kaiser zu verantworten getraue. Man sah noch obendrein fürchterliche Kriegszurüstungen in Sachsen und Hessen machen, da es nach der Angabe eines gewissen Otto's  von Pack 1528 verlauten wollte, als ob mehrere katholische Fürsten gegen die Anhänger Luthers eine geheime Verbindung geschlossen hätten; und der Landgraf Philipp legte nicht eher die Waffen nieder, als bis von Maynz, Wirzburg und Bamberg 200000 Gulden Entschädigungs-Unkosten ihm entrichtet worden waren. Noch weiter schritten die Luthern ergebenen Fürsten und Stände auf dem Reichstag zu Speyer 1529 vor; öffentlich bezeugten der Churfürst Johann von Sachsen, der Markgraf Georg von Brandenburg, die Herzoge Ernst und Franz von Lüneburg, der Landgraf Philipp von Hessen und der Fürst Wolfgang von Anhalt nebst den Städten Straßburg, Nürnberg, Ulm, Kostnitz, Reutlingen, Windsheim, Memmingen, Lindau, Kempten, Heilbronn, Isny, Weißenburg; Nördlingen und St. Gallen ihre Unzufriedenheit mit dem so ungünstig ausgefallenen Reichsabschiede, und legten eine förmliche Protestation ein; bestanden auch größten Theils in einer eigenen merkwürdigen Schrift, die in der Reichsversammlung abgelesen wurde, ein für allemahl darauf: daß der vorige allgemein verabfaßte Reichstagsschluß nicht ohne Einwilligung aller zurück genommen werden dürfte; daß sie sich aller Neuerungen keineswegs enthalten, die Messe nicht gestatten, und sich in ihren Ländern keine Gesetze von andern für ihre Unterthanen vorschreiben lassen könnten.

Uebergaben dann auf dem Reichstag zu Augspurg 1530, gestützt auf ihre gerechte Sache, ihr Glaubensbekenntnis; beruhigten sich nicht eher, als bis es in der Reichsversammlung abgelesen wurde, setzten der schwachen Widerlegung desselben eine starke Apologie entgegen und betrugen sich bey allen den Wegen, die Kaiser Karl V. einschlug, um sie in den Schooß der katholischen Kirche zurück zu führen, mit einer männlichen Unerschrockenheit und mit einer Unbiegsamkeit, die nicht von ihrem Standpunkte gerückt werden konnte,; reisten auch, da sich der Kaiser bereits so ungünstig erkläret und drohende Aeußerungen gethan hatte, von Augspurg ab, ohne den Reichstagsschluß abzuwarten, und errichteten gleich darauf zu Schmalkalden ein Bündniß, darinn sie sich dahin vereinigten, einander treulich beyzustehen, sobald sie wegen ihres Glaubens angegriffen werden sollten. Das waren wohl vorzügliche Stärkungsmittel für die hießige Reichsstadt, sich ihr Ziel nicht verrücken zu lassen, sondern ihm eben so muthig entgegen zu eilen. Nur einige Verzagtheit, nur einiges Zurückziehen von Seiten der größern bey der Reformation interessirten Stände: und die würde an eine Kirchenverbesserung nicht gedacht haben; aber so mußte der entschlossene Muth der größern Vorgänger auch in ihren Mittel die vortheilhafteste Wirkung thun.

Drittes Kapitel

Nächste Veranlassung zur Schweinfurtischen Reformation; Convent oder Fürstentag zu Schweinfurt. Verhandlungen auf demselben. Oeffentliche Religions-Vorträge des Sächsischen Hofprediger Spalatin bey dieser Gelegenheit. Erfolg desselben bey den hiesigen Einwohnern.

Schon im Jahre 1531 war eine Zusammenkunft zu Schmalkalden, die die Churfürsten zu Maynz und von der Pfalz veranstaltet hatten, um wegen des Friedens zwischen den streitenden Religions-Parteien bis zu einem allgemeinen Concilium zu handeln, ganz fruchtlos abgelaufen, hauptsächlich um deßwillen; weil man auch hier den so oft schon mißlungenen Weg, zuerst die beyderseitigen Meinungen zu vergleichen, wieder eingeschlagen hatte. Aber im folgenden Jahr wurden ähnliche Versuche mehr als jemahls nothwendig; denn nicht nur die Gefahren, welche Kaiser Karl V. von dem Türkischen Sultan Solimann II. zu fürchten hatte, wurden immer drohender; sondern auch der König von Frankreich handelte nun ganz öffentlich durch die Herzoge von Bayern mit dem Churfürsten Friedrich zu Sachsen und dem Landgrafen und dem Landgrafen Philipp von Hessen über die Mittel, wie die unrechtmäßige Wahl Ferdinands zum Römischen König wieder vernichtet werden könnte; und schon wurde ein Französischer Gesandter im Reiche erwartet, von welchem auf jeden Fall voraus zu sehen war, daß er das Friedensgeschäft eben nicht befördern werde; selbst den Plan der so eng verbündeten protestantischen Stände, die sich nur zu vertheidigen, aber nicht  der angreiffende Theil zu werden sich entschlossen hatten, kannte man nicht so genau und dachte sich ihn mehr von der entgegen gesetzten Seite. Karl säumte also nicht, neue Friedensverhandlungen zu veranlassen. Aus seiner Reise nach Regenspurg, wo der nach Speyer ausgeschriebene Reichstag gehalten werden sollte, gab er nicht bloß zu Maynz dem ersten Churfürsten des Reichs die Erlaubniß, wiederholter mit den Protestanten zu handeln, wie dieß Anfangs aus politischen Rücksichten vorgespiegelt, und noch von einem neuern katholischen Geschichtsschreiber behauptet wurde; sondern er forderte ihn selbst dazu auf, sich diesem Geschäfte in Verbindung mit dem Churfürsten von der Pfalz aufs Neue zu unterziehen.

Beyde übernahmen sehr bereitwillig die Vermittlung; und da sich auch die Protestanten geneigt hiezu finden ließen: so wurde mit dem Anfang des Aprils zu Schweinfurt, wohin ohne dieß die evangelischen Stände eine Zusammenkunft ausgeschrieben hatten, ein Convent eröffnet.

Herzog Franz von Lüneburg
Herzog Franz von Lüneburg

Die Versammlung war ansehnlich genug; denn die beyden Mittler, die Churfürsten von Maynz und von der Pfalz hatten sich dießmahl in eigener Person eingefunden, eben so der Churprinz von Sachsen, Johann Friedrich, anstatt seines kranken Herrn Vaters, der Herzog Franz von Lüneburg und der Fürst Wolfgang von Anhalt; außerdem waren noch von Maynz der Marschall Johannes Moerlein, der Kanzler D. Christoph Türk und der Stadtrichter, Johannes Pfaff; von Pfalz der Oberhofmeister Fleckenstein, der Marschall Wilhelm von Habern, und Philipp von Helmstadt; von Sachsen der Kanzler D. Gregorius Pontanus, oder Brück; vom Markgrafen Georg zu Brandenburg der Marschall von Seckendorf und der Kanzler D. Sebastian Heller; von Lüneburg der Kanzler Johannes Forsterus; von Hessen der Kanzler Johannes Feigius; von Anhalt und Mansfeld D. Johannes Ruhelius; dann von allen verbündeten Städten, nahmentlich von Straßburg Jakob Sturm; von Nürnberg Bernhard Baumgärtner und von Magdeburg D. Leonhard Merz als Gesandte hier eingetroffen.

Schon am zweyten Tage nach der Ankunft, nähmlich am zweyten Ostertag begann die Friedensverhandlung, und die beyden Vermittler legten sogleich folgende Vorschläge zur friedlichen Vereinigung vor:

" 1) der Churfürst zu Sachsen und der Churprinz Johann Friedrich, der Landgraf zu Hessen und ihre Mitverwandten, so sich in der Bekenntniß und Assension, unsern christlichen Glauben belangend, zu Augspurg in Schriften übergeben, eingelassen haben, sollten über dieselbige Confession und Assension keine weitere und mehrere Neuerung bis auf ein zukünftiges Concilium vornehmen;

2.) den Zwinglischen und Wiedertäufern weder anhängig, noch beständig seyn, noch Gunst erzeigen. Auch sollte keine Partey der andern Unterthanen in Sachen des Glaubens an sich ziehen, noch auch zu unterhalten, anzunehmen, zu schützen und zu schirmen sich unterstehen;

3.) sollten der Churfürst zu Sachsen, der Landgraf zu Hessen und ihre Mitverwandten sich enthalten, zu predigen, und predigen und publiciren zu lassen, es sey durch Wort, Druckerey, Schriften und in andere Wege, Sachen, die den Glauben betreffen, weiter und mehr, denn die Bekenntniß und Assension, so auf dem Reichstag übergeben ist, in sich hält. Auch sollte weder die eine noch die andere Partey außerhalb ihrer und ihrer Mitsachverwandten Landen und Gebieten predigen, noch zu predigen verschaffen, auch keine Partey wider die andere etwas beschwerliches oder lästerliches reden, sagen oder schreiben;

4.) wegen der Prälaten Jurisdiktion, Gewohnheiten und Ceremonien in der Herzogen von Sachsen zu Sachsen, des Landgrafen zu Hessen und ihrer Mitsachverwandten Landen, deßgleichen wegen der geistlichen Güter, worüber bisher viel Widerwärtigkeit entstanden, sollte nichts Neues vorgenommen, sondern die Sache auf solche ziemliche Mittel und Wege, wie man die finden möchte, daß sie der Kaiserlichen Majestät und allerseits leidlich und zum Frieden dienlich seyn möchten, gezogen werden;

5.) damit auch zuvor gemeiner Friede zwischen denen, so in dem alten Glauben verharren, und obgenannter Chur- und Fürsten sammt ihren Mitsachverwandten, beyderseits seyn und verhalten werde, sollte ein Jeder, so viel an ihm ist, sich mit rechter Freundschaft und christlicher Andacht befleißigen, und procuriren, daß das Concilium, so bald als bequemlich und möglich seyn kann, zu Erklärung und Erörterung der Zwietracht und Beschwerlichkeiten; so in dem Glauben sind, gehalten werden; daran denn die Kaiserliche Majestät ohne Zweifel die Hand ihres Vermögens  auch halten werde;

6.) sollten sich die Herzoge zu Sachsen, der Landgraf zu Hessen und ihre Mitverwandten sämmtlich und einmüthiglich zu allem dem befleißigen, das der Teutschen Nation zur Wohlfährt, Sicherheit, Ruhe und Gemach seyn und dienen möge, auch zu Hülf, Beschirmung und Erhaltung derselbigen, dazu zum Widerstand des Türken, nach Innhalt des Abschiedes, jüngst zu Augspurg aufgerichtet, wie sie zu mehrmalen zu thun angezeigt haben, contribuiren, gleicher Weise mit den andern Churfürsten und Ständen des Reichs; dergleichen und so viel sonst weiter, denn die Sachen des Glaubens belangend, die Rathschläge, Beschlüß und Abschiede der Reichstage, so verschienener Zeit gemacht sind, und künftiglich gemacht werden, halten und dem nachkommen;

7.) sollten sie der Kaiserlichen Majestät und dem Römischen König ohne Widersetzung gehorsam seyn; auch ob etwa Verständniß wider ihre Kaiserliche oder Königliche Majestät, oder andere des alten Glaubens aufgerichtet wären, sie als unkräftig fallen lassen. Dann, hieß es zum Beschlusse, würden ihre Kaiserliche und Königliche Majestät allen Mißfallen und Unwillen auch fallen lassen, alle vergangene Sachen und Beschwerungenin Vergessenheit stellen, und ihr gnädigster Kaiser und Römischer König bleiben und sie in allen ihren Sachen gnädiglich halten."

Bey der ersten Ansicht waren diese Vorschläge eben nicht verwerflich; denn es sollte ja nun nicht erst eine Vereinigung der auf dem Reichstag zu Augspurg streitig gebliebenen Punkte wegen des Kelchs im Abendmahl, der Priesterehe und Privat-Messe bewirket, sondern sogleich zur Hauptsache, zur friedlichen Uebereinkunft bis zu einem allgemeinen Concilio geschritten werden. Selbst Luther, dem sie einige Wochen vor dem Convente zur Einsicht und Beurtheilung mitgetheilet wurden, urtheilet in seinen Briefen an den Churfürsten und Churprinzen eben so davon; in dem ersten druckt er sich folgender Maßen aus: "Demnach ist das mein unterthäniges Bedenken, daß solche Artikel wohl leidlich und anzunehmen. Und ob etliche noch dunkel wären, oder verdächtig, achte ich, wenns zur Handlung käme, es wäre alles wohl klar und gewiß zu machen. Und fürwahr (so viel ich mich verstehe) so dünkts mich, der beyder Churfürsten Ernst und rechte Meinung zu seyn, dieweil sie vom Kaiser so weiten und freyen Befehl zu handeln erlangt haben, dazu auch den Pfalzgrafen Friedrich in solcher Botschaft gebraucht; damit sie anzeigen, daß ihnen daran gelegen gewest sey und noch."

Eben dieselbe Sprache führt er in dem andern, am Montag nach Esto mihi an den Churprinzen geschriebenen Briefe; er beruft sich zuvörderst auf seine schon geäußerte Meinung, daß die ausgestellten Artikel wohl zu leiden und anzunehmen seyen, und setzt im weitern Verfolge hinzu: "Nun aber der Kaiser als von Gott geordnete Obrigkeit sich so gnädig erbeut, und so milden freyen Befehl giebt, Frieden zu machen, ists fürwahr nicht anders zu achten, denn als biete uns Gott seine gnädige Hand. Und Zeit ists, daß wir ihn nicht lassen umsonst die Hand ausstrecken, welches ihn hoch verdreußt."

Luther, dessen Aussprüche damahls wie Orakel galten, hatte auch nicht umsonst gesprochen; man ließ sich auf die vorgelegten Friedensbedingungen ein. Aber manches war doch noch dunkel und zweydeutig darinn: dieß mußte erst gehörig bestimmt werden; darüber verlangten also auch vordersamst die protestantischen Stände Aufschluß und Erläuterung, Der erste Artikel war wohl einer der zweydeutigsten; denn bey genauerer Untersuchung lag unstreitig so viel darinn: daß alle diejenigen , die erst nach der Augspurgischen Confession beytreten würden, von dem beabsichtigten und nun zu schließenden Frieden ausgeschlossen seyn sollten. Finden mochten dieß wohl die Protestanten selbst darinn, da dieß, nur etwas mehr versteckte, Ansinnen nicht neu, sondern schon 1529 auf dem Reichstag zu Speyer und erst jüngsthin zu Augspurg an sie gemacht worden war; allein für jetzt nahmen sie noch keine Rücksicht darauf; entweder weil sie den von Luthern so sehr empfohlenen Frieden dadurch nicht hindern wollten; oder schon viel gewonnen zu haben glaubten, wenn nur diejenigen gesichert wären, die nach der Uebergabe der Augspurgischen Confession ihrer Partey beygetreten wären. Das Letztere scheint besonders der Fall gewesen zu seyn; denn daher floß in der Schrift, worinn sie um Erläuterung bitten, augenscheinlich die Aeußerung: "die Worte im ersten Artikel: und andere ihrer Liebden Mitverwandten, so sich in der Bekenntniß und Assension zu Augspurg in Schriften übergeben, eingelassen haben, verstehen wir, daß alle wir, die nachbenannten Stände, und Städte, so sich in gemeldte Confession bisher eingelassen und theilbar gemacht, damit gemeynt sind, nehmlich: der Churfürst zu Sachsen sammt Herzog Johann Friedrichen, seiner Gnaden Sohn, Marggraf Georg von Brandenburg, Herzog Philipp, Ernst und Franz, Gebrüder und Vettern zu Braunschweig und Lüneburg, Landgraf Philipp zu Hessen, Fürst Wolfgang zu Anhalt, Gebhard und Albrecht, Gebrüdere, Grafen und Herren zu Mansfeld, und die Städte Straßburg, Norimberg, Constanz, Ulm, Bibrach, Ißni, Reutlingen, Memmingen, Eßlingen, Lindau, Heilbrunn, Kempten, Weißenburg, Winßheim, Lübeck, Braunschweig, Magdeburg, Bremen, Goßlar, Einbeck und Göttingen. 

Dieß hauptsächlich hatten die beyden Mittler beabsichtiget: sie gestanden es also in ihrer Gegenerklärung, die schon am Freytag nach Ostern erfolgte, sogleich mit einer unverkennbaren Freude zu. Um so bereitwilliger ließen sie sich aber auch bey den übrigen Punkten finden, und druckten sich wenigstens so gemäßigt aus, als es nur immerhin seyn konnte. Die Protestanten hatten Auskunft darüber verlangt: ob unter dem versprochenen Concilio ein freyes, gemeines und christliches Concilium in Teutschen Ländern; ob unter der Neuerung , die bis zu diesem Concilio über die Augspurgische Confession nicht vorgenommen werden solle, bloß die Neuerung in der Lehre, nicht aber in Gebräuchen und Ceremonien; ob unter den Unterthanen, die keine Partey in Sachen des Glaubens an sich ziehen solle, allein diejenigen, die noch unter einer andern Obrigkeit wohnten, oder auch diejenigen, die sich schon zu ihnen gewendet hätten, und noch wenden wollten; ob unter den Sachen, die den Glauben beträfen, und nun auf keine Weise weiter und mehr, denn die Augspurgische Confession in sich enthalte, von ihnen ausgebreitet werden sollten, auch die anderweitigen schon gerügten Mißbräuche und die darüber ertheilten Belehrungen verstanden würden? ob, weil jeder Pertey untersagt werde, etwas Schimpfliches oder Lästerliches wider die andere zu reden oder zu schreiben, sie auch hinfüro nicht mehr mit dem Nahmen der Ketzer und andern Schmähworten beleget werden sollten? welches die ziemlichen Mittel und Wege wären, auf welche die Sache wegen der geistlichen Jurisdiktion und der Kirchengüter in ihren Ländern gezogen werden sollte? wie es endlich verstanden werden möchte, daß Jeder sich befleißigen solle, daß das Concilium so bald als möglich gehalten werde, da es schon so oft von Kaiserlicher Majestät versprochen worden sey?

Darauf erwiederten nun die beyden Mittler: das christliche Concilium, welches gehalten werden sollte, stehe freylich nicht bey einer Nation, und es müsse zuvor mit Päpstlicher Heiligkeit und andern hohen, christlichen Potentaten Vergleichung darüber geschehen; doch wären sie erböthig, bey Kaiserlicher Majestät dahin zu handeln, daß es, so viel möglich, allernächst in Teutschen Ländern, oder in den Gränzen derselben gehalten werde; wegen der Gebräuche und Ceremonien sollte nur bis zu diesem künftigen Concilio nichts Neues vorgenommen werden; wenn Privat-Personen mit Wissen und Willen ihrer Obrigkeit des Glaubens wegen sich weg wendeten, und eine Bescheinigung darüber vorzeigten, dürften sie von der andern Partey auch angenommen werden; die Protestanten sollten nur nicht weiter predigen, lehren, schreiben oder drucken lassen, als ihr Bekenntniß vermöge, demselben gemäß und nicht weiter; kein Theil sollte den andern auf irgend eine Weise mit Schmäh- und Lästerworten antasten, und jede Obrigkeit Sorge dafür tragen; wegen der geistlichen Güter, die die Prälaten noch in den Ländern der Protestanten hätten, sollte bis zum nächstkünftigen Concilio ebenfalls nicht Neues vorgenommen werden; durch die Worte: die, so im alten Glauben verharren, würde bloß der Unterschied der Parteyen bezeichnet, nicht aber damit entschieden, wer des alten oder neuen Glaubens sey, auch könnte allenfalls dafür gesetzt werden; daß guter, gemeiner Friede zwischen beyden Parteyen unterhalten werde; endlich sollten beyde Parteyen alle nur mögliche Sorge dafür tragen, daß das Concilium, so bald als es nur seyn könne, gehalten würde, Kaiserliche Majestät würde, wie bisher, nichts in dieser Absicht ermangeln lassen. Damit war denn den Protestanten schon manches, wenn gleich nicht alles zugestanden, so daß man dem erzielten Frieden schon etwas näher gekommen war; nur einige Artikel blieben noch dem Streite unterworfen, und darüber mußten weitere Unterhandlungen gepflogen werden.

König Ferdinand im Jahre 1548
König Ferdinand im Jahre 1548

Aber noch zuvor erhob sich wegen des letzten Punktes, in welchem von dem Römischen Könige Meldung geschah, und worinn die gegenseitige Partey aufgefordert wurde, ihm ohne Widersetzung gehorsam zu seyn, auch alle Bündnisse, die etwa gegen ihn eingegangen worden wären, aufzugeben, eine nicht unerhebliche Schwierigkeit. Die Protestanten hatten nähmlich bisher die Wahl Ferdinands zum Römischen König als unrechtmäßig angesehen und verworfen, und glaubten also auch jetzt, daß sie ihm keinen Gehorsam schuldig wären. Luther both zwar alles Mögliche auf, daß es über diesen Punkt gar nicht zur Sprache kommen sollte; schon am Montag nach Esto mihi hatte er an den Churprinzen geschrieben: " Ich muß besorgen, daß der eine Artikel vom Könige E.F.G. vielleicht bewegen möchte und beschwerlich dünken, und das nicht ohne Ursach, als nun jedermann wohl bewußt. Aber, gnädiger Herr, weil nun E.F.G. tugendliche That und Widerstand solcher unrechter Wahl des Königs und jener aller Unrecht ziemlich genug gestraft, und E.F.G. sammt ihrem Theil genugsam und reichlich entschuldigt ist; so will ich E.F.G. demüthiglich und um Gottes willen gebeten haben, E.F.G. wollten solchen Artikel hinfort Gott zu Lob und Ehren lassen fahren, und ja nicht dadurch den Friede und Vertrag hindern lassen." Und während des Convents schrieb er noch an den Churfürsten: " Weil denn die Sache so weit kommen, daß solchen Vertrag und Friede nichts hindern würde, denn vielleicht der Artikel vom Könige, so ist meine unterthänige Bitte, E.C.F.G. wollten denselben Christo schenken und fahren lassen. Ist er unrecht gewählt, so ist er ziemlich darum gebüßet bis daher. So hat auch E.C.F.G. solch Unrecht genugsam widersprochen, und sich wohl dagegen erzeigt. 

Wo aber, da Gott für sey, der Vertrag solle gehindert werden um dieses Artikels willen. so muß endlich daraus folgen, daß ein Krieg daraus werde, es bleibe der Kaiser im Lande, oder nicht. Und E.C.F.G. müßten solches Kriegs auch mit Ursache seyn ohne Noth; welches dann im Gewissen eine unerträgliche Last seyn würde, so die Reue hernach kommen und beißen würde, nemlich: Ey warum ließ ich nicht mein Recht, und nahm den Frieden an, daß nicht ein solch groß Unglück und Jammer kommen wäre?" Allein der Churfürst und der Landgraf waren schon zu genau mit Bayern und Frankreich über die Mittel überein gekommen, wie der Wahl Ferdinands entgegen gearbeitet werden sollte, als daß auch die dringendste Vorstellung Luthers Platz finden, und ihre eigene Ehre dabey auf das Spiel gesetzt werden konnte. Die Protestanten drangen darauf, daß Ferdinand der Ehre, Römischer König zu seyn, wieder entsagen sollte, und überreichten eine eigene Klagschrift, worinn sie die Gründe, warum sie die geschehene Wahl Ferdinands für unrechtmäßig erklären müßten, anführten, und zugleich den Weg bezeichneten, der künftig bey einer solchen Wahl nach der Reichsverfassung und der güldenen Bulle genommen werden müßte. Die Mittler erwiederten am 20ten April darauf: " Sie pflögen um Friedens und Einigkeit willen diese Unterhandlungen, und hätten nicht geglaubt, daß so etwas in Proposition gebracht werden würde. Zur Wahl eines Römischen Königs bey Lebzeiten des Kaisers hätten sie die wichtigsten Ursachen gehabt, die damahls dem Johann Friedrich, als Gesandten seines Vaters, erkläret worden wären, und, wenn es nöthig sey, noch ausführliches erkläret werden könnten; da aber die Sache nicht sie allein, sondern auch den Kaiser und König und die übrigen Churfürsten angehe: so wollten sie für jetzt nicht weiter darüber streiten, sondern sie einstweilen dahin gestellt seyn lassen, damit man desto eher zur übrigen Vereinigung schreiten könne, um deren willen eigentlich dieser Convent ausgeschrieben worden sey. Wenn es indessen durchaus darauf abgesehen sey und angetragen werde, daß sie wegen ihres Vorschrittes Rechenschaft ablegen sollten: so wollten sie sich vor dem Richter stellen und ihre Sache so führen, daß gewiß mit Recht nichts daran getadelt werden könnte. Nur wenn dieß an den Kaiser gelange, so fürchteten sie sehr, es möchte nicht nur nicht angenommen, sondern auch die ganze Friedenshandlung dadurch gehindert und aufgehoben werden. Damit nun Friede und Einigkeit so wohl in die Religions- als Wahlsache hergestellt und keiner von dem andern getrennet werden möchte, so bäthen sie bey Churfürsten und Churprinzen von Sachsen angelegenlichst, hiebey darauf Rücksicht zu nehmen und von ihrem Vorhaben abzustehen; denn so ließe sich hoffen, daß der Kaiser und König sie vor allem Schaden, der ihnen und ihren Nachfolgern daher erwachsen könnte, hinlänglich sichern, gewißlich auch alle Feindseligkeit ablegen und ihnen allen gegenseitige Gewogenheit erweisen würden, besonders dem Churfürsten von Sachsen in den Geschäfften, die er betreibe, und selbst in der Religions-Sache, so viel nur möglich wäre; denn ein Religions-Friede könne schwerlich erlangt werden, so lange die Wahlsache noch unbestimmt gelassen werde."

Allein dadurch wurden die Protestanten nicht auf andere Gesinnungen geleitet; vielmehr führte der Churprinz, Johann Friedrich am 24sten April die ernstliche Sprache: "Er habe keine solche Antwort von ihnen erwartet. Denn da sie jüngsthin unter andern erkläret hätten: um der Wohlfahrt und Würde des Reichs willen wäre ein Römischer König gewählt worden, so habe er nothwendig darauf antworten müssen in seines Vaters und seyner Verbündeten Nahmen, welche eben überzeugt wären, daß diese Wahl fehlerhaft und dem Reiche keineswegs ersprießlich sey; er habe zugleich gehofft, daß sie als Mittler diese Sache nicht vertheidigen, sondern als zweifelhaft und streitig dahin gestellet seyn lassen würden; denn seine ersten Erklärungen gingen nicht die gegenwärtigen Mittler an, sondern müßten auf jene Zeit bezogen werden, wo dieß zur allgemeinen Berathschlagung kommen würde. Zu Cöln wären zwar die Ursachen vorgeleget worden, warum der Kaiser seinen Bruder zur Regierungs-Theilnahme erhoben wissen wollte; aber sie wären nicht so trifftig gewesen,daß deshalb der güldenen Bulle, den Rechten und Freyheiten des Reichs hätte entgegen gehandelt werden müssen; er und die übrigen Gesandten seines Vaters hätten auch ihnen erwiedert, warum nicht auf eine solche Weise vorgeschritten werden dürfe. Was also die Mittler zuletzt erkläret hätten, das erkläre nun auch er: wenn nähmlich der Kaiser dieß ihr Begehren zurück weise: so sollte die Sache vor einem rechtmäßigen Gerichte entschieden und über die Gründe ihrer Rekusation (Anmerkung: bedeutet Weigerung, Ablehnung) erkannt werden. Freylich habe er, da sie billige und gütliche Unterhandlungen pflögen, geglaubt, die Vermittler der übrigen Punkte würden auch in dieser Streitsache einen dem Reiche anständigen und ersprießlichen Weg vorzeichnen; da dieß aber nicht geschehe, so wolle er auch nicht weiter darauf dringen; allein sein Vater und die Mitverwandten würden gewiß, doch ohne Jemandes Nachtheil, zeigen, wie sehr gegen die Gesetze und Freyheit des Reichs gehandelt worden sey, und wie sie, wenn ja einiger Nachtheil daher entspringen sollte, so gar keine Schuld daran hätten. Er hoffe auch, der Kaiser werde das, was die Würde und Wohlfahrt des Reichs betreffe, nicht ungnädig aufnehmen.

Es kam endlich so weit, daß der Churprinz den Artikel vom Römischen Könige gänzlich weggelassen wissen wollte, und bis zur Einwilligung des Kaisers hierüber nur noch 15 Tage bestimmte. Karl gab wirklich, so schwer er daran kommen mochte, nach, und beruhigte sich nur noch damit, daß wegen der Wahlsache besonders zu handeln versprochen war, und mit den schriftlichen Versicherungen des Churprinzen an den Grafen von Nuenar.

Nun sollten die übrigen Friedensbedingungen gar aufs Reine gebracht werden; es wurde deßhalb den Protestanten eine mündliche Unterredung vorgeschlagen, wozu bloß ein Ausschuß von beyden Theilen bestimmt werden sollte; und ohnerachtet sie den Mittlern ihre so gar nicht ungegründete Besorgniß, daß dadurch nur neue Weitläufigkeiten entstehen würden, gleich Anfangs eröffnet hatten, so willigten sie doch endlich darein; aber weder die eine noch die andere Partey wollte weiter nachgeben, als es schon geschehen war, und es wurde lediglich nichts erzielt. Ebenso fruchtlos lief eine neue Unterredung ab, die nach dem Befehle des Kaisers und zwar wieder durch den Ausschuß versucht werden mußte. Ohngefähr um diese Zeit sahen die Protestanten ein, vielleicht auf Veranlassung der Städte, Straßburg, Costnitz, Memmingen und Lindau, die nun von ihrem eigenen Bekenntnisse abtraten, und auf dem gegenwärtigen Convente die Augspurgische Confession unterschrieben, daß man bey dem ersten Artikel zu viel nachgegeben habe. Sie kamen unter sich dahin überein, daß den Worten des ersten Artikels: diejenigen, so sich in das Augspurgische Bekenntniß und Assension eingelassen haben, der Zusatz beygefüget werden sollte: oder noch einlassen mögen. Der Zusatz war allerdings wichtig; denn dadurch hinderten sie die gewiß vorher zu sehenden traurigen Folgen, daß die weitere Ausbreitung ihrer Lehre und Verstärkung ihrer Partey begränzt, jeder Stand, der noch reformiren wollte, der Willkühr und dem Hasse der Gegenpartey, ohne auf ihre Hülfe Rechnung machen zu dürfen, Preis gegeben, und selbst ihre eigene Reformation in gewisser Hinsicht als unrechtmäßig dargestellet worden wäre. Dieß erfoderten auch ihre bisher geäußerten Grundsätze und gethanen Vorschritte, eine Ausdehnung von der Art nicht zu verschlafen; denn sie hatten ja schon 1529 gegen den Speyerischen Reichsabschied um deßwillen protestirt, weil bloß sie nach demselben wegen ihrer Lehre in Ruhe gelassen werden; aber keine andern Stände und Städte mehr beytreten sollten; und erst neuerlich hatten sie einen ähnlichen Versuch, der zu Augspurg gemacht worden war, mit Unwillen zurück gewiesen. Aber Luther verdarb hier augenscheinlich die Sache; er entweder des Streitens müde, und durch manche unangenehme Erfahrungen etwas abgekühlt, oder einen schrecklichen Krieg zu sehr fürchtend, war auf einmahl ganz anderes Sinnes in diesem Falle geworden. Zwey Jahre vorher hatte er noch über den ersten Artikel des so genannten ersten Augspurger Abschiedes folgender Maßen geurtheilt: "Der erste Artikel, worinn uns Friede zugesagt wird, wenn wir nur hinfort nichts Neues vorbringen, und diejenigen, so das Evangelium noch annehmen wollten, nicht aufnehmen, oder hegen, kann keineswegs gebilliget werden; denn er geht den Glauben und das Bekenntniß an. Und wenn man einwenden wollte: daß der Kaiser jetzt bloß mit dem Churfürsten von Sachsen und seinen Religions-Verwandten handele, nicht aber mit denen, die künftig dazu treten möchten; und der Churfürst von Sachsen hätte nicht für andere zu sorgen, er oder seine Mitverwandten hätten auch nichts über Unterthanen anderer Herrschaften, sondern nur über ihre eigene zu sprechen: so ist die Antwort, daß der Gegentheil den Lauf und die Fortpflanzung des Evangelii hindern und damit machen wolle, daß das Wort Gottes nicht weiter komme. Wenn wir aber hiezu Ja sagen wollten, so wäre das so viel, als wenn wir sprächen: Christus soll nicht leben, sondern wieder gekreuzigt werden." 

Philipp Schwarzerdt (griechisch: Melanchthon), Professor u. Reformator
Philipp Schwarzerdt (griechisch: Melanchthon), Professor u. Reformator

Ja noch vor dem Anfange der Friedens-Traktaten war es in einem mit Jonas, Pomeranus, Cruciger und Melanchthon ausgestellten Bedenken seine Meinung, daß man auch andern, die noch nicht dem Bund beygetreten wären, der Religion wegen Hülfe leisten müsse; wenn anders dieß nicht seinen Bezug auf die besondern Verhandlungen hat, welche die Protestanten wegen der Aufnahme anderer Stände und Städte in den Schmalkaldischen Bund auf dem Convente zu Schweinfurt anstellen wollten. Genug jetzt hatte sein Geist eine andere Stimmung erhalten; er urtheilet in seinem um diese Zeit ausgestellten Rathschlage (und wer erstaunt nicht darüber) nun also: "Wir haben den Artikel mit den Worten: und andere, die sich einlassen würden, abermahls mit allem Fleiß erwogen. Und dieweil wohl zu achten ist, daß mans bey dem Gegentheil nicht erhalten kann, können wir nicht rathen, daß man streiten soll, und dadurch die ganze Handlung vom Friede umstoßen; dieweil man doch ohne Beschwehrung des Gewissens denselbigen Zusatz mag fallen lassen. Das Nöthige umstoßen und fallen lassen von wegen des Unnöthigen, das ist wider Gott und Gewissen. Daß aber dagegen mag gesagt werden, diesen Zusatz könne man nicht mit Gott und Gewissen fallen lassen, denn dadurch werde das Evangelium andern gewehret, item die Christen sollen der andern Heil suchen, ist nicht ohne, man kann dieses hoch schmücken; aber dennoch im Grund ists die Wahrheit, daß wir solchen Zusatz mit Gott und Gewissen mögen fallen lassen: denn wir willigen hiermit nicht, daß den andern das Evangelium soll verboten oder gewehret werden; sondern suchen einen zeitlichen Frieden für uns. Ein Christ ist schuldig, das Evangelium auf eigne Gefahr zu glauben und zu bekennen."

Dieß wirkte so stark auf den Churfürsten und die seines Theils waren, daß sie den vorgeschlagenen Zusatz aufgaben, wenigstens nicht gegen die Mittler damit hervor traten. Der Streit darüber unter der Partey selbst, den besonders der Landgraf von Hessen neu aufregte, dauerte indessen noch länger fort, auch nachdem der Convent zu Schweinfurt schon geendiget war, welches bekanntlich in der Mitte des Mays geschah. Die meisten Protestanten waren nebst dem Churprinzen und Kanzler Brück unter sich immer noch für die Festhaltung des in Vorschlag gekommenen Zusatzes; daher schrieb Luther den 29sten Jun. seinem Churfüsten: "Ich bitte E.C.F.G. aufs allerunterthänigste E.C.F.G. wollten mit Ernst einen guten harten Brief hinaus den Unsern schreiben, und treulich vermahnen; sie wollten doch auch ansehen, wie viel und gnädig die Kaiserliche Majestät uns nachgiebt; das wir mit gutem Gewissen wohl mögen annehmen; dazu seine Kaiserliche Majestät selbst des Königs Sachen nicht drein gemengt haben will, und solchen gnädigen Frieden um etlicher spitziger, genau gesuchter Pünktlein ja nicht abschlagen. Gott wird ( wo die Hauptstücke mit Frieden fortgehen) solche geringe ersuchte Mängel wohl heilen und versorgen. Sie werden doch den Zweck nicht spalten, ist auch nicht noth, sondern genug, daß man nahe hinzuscheust."  Der Churfürst schrieb auch schon am 30sten Jun. an den Churprinzen: er solle die Sache zu Ende zu bringen suchen, und nicht alles so genau und schnureben suchen."  Aber dieser verwarf nebst dem Kanzler Brück das bedenken Luthers, vesicherte in der schriftlichen Antwort, daß es allen Gesandten mißfallen habe; und noch bis zum Schlusse des Friedens zu Nürnberg trieb man sich mit dem aufgeregten Zusatze umher. Doch der weitere Verfolg dieses Streits unter den Protestanten gehört eigentlich nicht hierher.  So viel legt sich durch das Zusammenhalten aller Umstände zu Tag, daß dem Mittlern auf dem Convente zu Schweinfurt gar nicht die Zumuthung gemacht wurde, den ersten Artikel noch mit denen zu vermehren, die in der Folge der Augspurgischen Confession beytreten würden. Vielmehr waren die letzten Friedensvorschläge, die sie den beyden Mittlern machten, sehr gemäßigt und annehmlich. Sie willigten in alle bisher verhandelten Friedensbedingungen ein; nur wollten sie folgendes sich zugestanden wissen: 

1.) daß sie sich auf Reisen, wenn es die Obrigkeit ihres Aufenthaltsorts erlaubte, predigen, besonders in Feldzügen und Lägern sich allein das heilige Evangelium vorlesen, und in und außer ihren Ländern das heilige Abendmahl in beyderley Gestalt reichen lassen dürften;

2.) daß im Betreff der geistlichen Jurisdiktion und der Kirchengüter in ihren Ländern alles in dem Stand bleiben müsse, wie es gegenwärtig sey;

3.) daß auch solche Personen, die der Augspurgischen Confession anhingen, wenn sie bey dem Cammergerichte präsentiert würden, wegen ihrer Religion nicht ausgeschlossen werden dürften; und

4.) daß alle Processe bey den Reichsgerichten, selbst die schon abgeurtheilten und nur noch nicht vollzogenen, bis zum künftigen Concilio aufgeschoben seyn sollten.

So billig auch diese letzten Forderungen waren, und so sehr damit künftigen Verdrießlichkeiten ausgebeuget worden seyn würde: so wenig wurden sie doch angenommen; oder so unentschieden ließ man sie doch. Zwar wurde wegen der geistlichen Jurisdiktion und der Kirchengüter von den Mittlern eine solche Erklärung gegeben, daß die Protestanten allenfalls daraus folgern konnten, ihrem Begehren möchte willfahret seyn; auch ward einige Hoffnung gemacht, daß die Processe am Cammergerichte, die Religion betreffend, bis zum Concilio suspendirt bleiben sollten; aber alles andere sollte auf den Kaiser ausgesetzt bleiben, ohne daß man sich anheischig machte, seine Bestätigung darüber beyzubringen. Man ging daher aus einander, um mit dem Anfange des Junius in Nürnberg zusammen zu kommen, wo denn auch der erste Religions-Friede geschlossen ward. Im Ganzen genommen war also der Convent zu Schweinfurt fruchtlos abgelaufen; aber der hiesigen Reichsstadt that er doch den nächsten Vorschub zur Reformation und Kirchen-Verbesserung. Ueberhaupt würde die neue Lehre keine so schnelle Ausbreitung erhalten haben, wenn nicht die Zusammenkünfte der Protestanten, die bald da bald dort gehalten wurden, auch das Ihrige dazu beygetragen hätten. Schon die Anwesenheit so wichtiger Personen und Häupter der Protestanten, ich meine den Sächsischen Churprinzen, Johann Friedrich, den Herzog Franz von Lüneburg und den Fürsten Wolfgang von Anhalt, die, wie schon oben erinnert wurde, nebst den beyden Vermittlern, den Churfürsten zu Maynz und von der Pfalz sich hier eingefunden hatten, und der tägliche Anblick so vieler Fürstlichen, Gräflichen und Städtischen Gesandten, worunter zum Theil Männer von Wichtigkeit und wirklicher Gelehrsamkeit  waren, gab der Sache der Reformation, die man im Stillen wünschte, ein neues Gewicht, und entflammte die Gemüther noch mehr; aber außer dem wurde auch 6 Wochen hindurch im Geiste Luthers öffentlich gepredigt. 

Georg Spalatin
Georg Spalatin

Georg Spalatin, ein feiner gelehrter Mann, beliebt bey Fürstlichen Personen, und ein vetraueter Freund Luthers und Erasmus, hatte als Churfürstlicher Hofprediger den Churprinzen hieher begleitet. Der hiesige Rath hatte ihm auf Ansuchen des Churprinzen verwilliget, während des Convents öffentliche Religions-Vorträge zu halten, und er machte damit schon am ersten Ostertage den Anfang, zwar nicht in der Hauptkirche zu St. Johann; denn dagegen hatten sich die katholischen Pfarrer an derselben durchaus gesetzt; aber doch in der ehemaligen Kirche zu unserer lieben Frauen, nun zu St. Salvator. Das Herbeydrängen der Schweinfurtischen Bürger und Einwohner, selbst vieler aus der Nachbarschaft war, wie aus der Angabe des Churprinzen und Paul Rosa's ersehen werden kann, so groß, daß er am zweyten Ostertage und in der Folge nach dem Beyspiele dessen, dessen Lehre er verkündigte, außerhalb der Kirche unter freyem Himmel zu dem Wißbegierigen sprach. Es läßt sich leicht denken, daß er hier die Mißbräuche und Menschensatzungen in der katholischen Kirche hauptsächlich gerügt, und die Unterscheidungslehren der neuen Religions-Partey vorgetragen haben werde: denn dieß war damahls der Ton auf den protestantischen Kanzeln; allein sein Unterricht, den er im folgenden Jahre hieher sandte, und worinn er laut der Einleitung alles das wiederholen wollte, was er auf dem Churfürstentag gepredigt habe, macht uns näher damit bekannt. Nach demselben suchte er die Schweinfurtischen Bürger und Einwohner über die Sünde und ihren Ursprung, über das Gesetz und Evangelium, über die Liebe gegen den Nächsten, über die Früchte des Glaubens und gute Werke, über das Kreutz und seine Art, über den Ehestand, über die weltliche Obrigkeit, über die Hülfe verstorbener Seelen, über Sekten und falsche Lehren, über das Sakrament der Taufe und das Sakrament des Leibes und Blutes Christi, über die Taufe ungebohrner Kinder, über die Beichte, über das Gebeth und seine Kraft, über das christliche Fasten und Anrufen der Heiligen, und über die Diener des Wortes zu belehren. Wenn gleich diese Vorträge nicht so ganz den eigenthümlichen Geist des Christenthums erschöpften, auch wohl religions-Vorstellungen enthielten, die, selbst nach dem Willen der Reformatoren, noch mehr geläutert und gereinigt werden mußten: so waren sie doch von ganz anderer Art, als diejenigen, welche man bisher gehöret hatte; führten doch ohne Legenden und Mährchen näher zur christlichen Religions-Quelle, und gewährten weit mehr Nahrung für Geist und Herz, mehr Trost, Beruhigung und Aussicht. 

St. Salvator um 1800
St. Salvator um 1800

Die Wahrheit, die nach ihrer Zwanglosen, aber ungemein fesselnden Kraft immer triumphiret, siegte auch hier; umgemein schön und stark waren die Eindrücke, die der neue Lehrer des Protestantismus auf die Herzen aller Hörer machte; und noch in diesem Jahr schrieb der hiesige Stadtschreiber Haugk an ihn: "Gottlob getrösten sich noch viel Menschen Eur predigt, alhie gethan; solcher same, den Ir geseet, der wirt sobalden mit Gottes gnaden aus den Herzen, die solchen gefast, nit kommen ohn Furcht." Allerdings neigte sich nun unsere Vaterstadt, nachdem sie einen so würdigen Mann gehöret, und eigene Ueberzeugungen erhalten hatte, noch mehr zur protestantischen Lehre. Zwar kam es gegenwärtig nicht so weit, daß man auf eine gänzliche Reform gedrungen, und wirkliche Anstalten dazu gemacht hätte; aber einzelne Verbesserungen in Kirchengebräuchen und Ceremonien wurden theils laut begehrt, theils eigenmächtig eingeführt. Viele hiesigen Einwohner wollten nun das heilige Abendmahl durchaus unter beyderley Gestalt empfangen, und das um so mehr, da um dieselbige Zeit eine Pestartige Krankheit eingerissen war, die viele Einwohner hinweg raffte; aber der Pfarrer an der Hauptkirche verweigerte das schlechterdings, worüber denn die guten Leute in manche Kummervolle Besorgnisse geriethen: wenigsten sangen sie doch in der Kapelle des Carmeliter-Klosters (denn in der Hauptkirche wurde dieß nicht gestattet) immer vor der Predigt, wenn eine gehalten wurde, teutsche Psalmen, und nach derselben jedesmahl das Lied: Eine feste Burg ist unser Gott; ließen sich das auch von dem Provincial des Carmeliter-Ordens, der einige Mahle anwesend war, keinesweges verbiethen; so gar die Kinder auf den Gassen sangen des Nachts, ohne daß von Seiten der hiesigen Obrigkeit der geringste Einhalt gethan wurde, teutsche Psalmen. So viel war also bewirkt, daß man größten Theils keinen Geschmack mehr an dem bisherigen Geschmack- und Geistlosen Ceremonien-Wesen fand, und daß nun Anstalt zur Reformation selbst gemacht werden durfte.  

hier geht's weiter