Von der Firma Hirsch zur Firma Gritto zur Firma Kühne
Die Firma Hirsch in Schweinfurt, gegründet von der jüdischen Familie Hirsch im Jahr 1843 in der Neutorstraße 9, hat eine lange Geschichte, die im Dritten Reich einen tragischen Einschnitt erleben musste.
Aus ihr ging die Firma Fränkische Weinessig. und Konservenfabriken Gmbh, aus dieser die Fa. Gritto-Werke-Gmbh hervor, bis dann diese von der Firma Kühne schließlich im Jahre 1962 übernommen wurde.
Firma Hirsch
Essig und Likörfabrik
Inhaltsverzeichnis
Neue Erkenntnisse / Unterlagen und Erläuterungen von Herrn Ernst Neugebauer
Neue Erkenntnisse / Unterlagen und Erläuterungen von Herrn Ernst Neugebauer
Vorbemerkungen
Ich habe Herrn Neugebauer als ehrenamtlichen Berater der Rentenversicherung in eigener Sache kennengelernt. Wir kamen irgendwie auch auf die Historie der Firma Kühne in Sennfeld zu sprechen. Es kam zu mehreren Gesprächen und Niederschriften sowie dem Empfang von Unterlagen. Die firmengeschichtlichen Zusammenhänge gleich mehrerer Firmen haben sich durch diesen Kontakt erschlossen.
Ich kann die bisherigen Ausführungen zur Firma Hirsch ergänzen und die Firmengeschichte der Firmen „Gritto“ bzw. „Fränkische Weinessig- und Konservenfabrik“ sowie der Firma Kühne, Niederlassung Sennfeld bei Schweinfurt neu im Schweinfurtfuehrer aufnehmen. Wesentliche Basis sind die Erzählungen und Unterlagen von Herrn Neugebauer.
Herr Ernst Neugebauer begann am 01.08.1961 seine Lehrlingsausbildung bei der Firma Gritto in Sennfeld. Zum damaligen Zeitpunkt besteht der neue Standort der Firma Gritto in Sennfeld bereits vier Jahre.
Der Umzug der Firma Gritto von Schweinfurt, Ernst-Sachs-Straße nach Sennfeld in die neuen Gebäude erfolgte im Juni 1957. Produktionsbeginn war Juli 1957.
Am 01.05.1962 wird die Firma Gritto durch die Firma Kühne übernommen.
Die Gritto-Werke GmbH werden zur Niederlassung der Carl Kühne KG. Herr Neugebauer arbeitet bis zu seinem Ruhestand bei der Firma Kühne.
Die Ergänzungen der Firmengeschichte sind insbesondere auf den Fund des Firmentresors der Firma / der Familie Hirsch zurückzuführen.
Erzählungen von Herrn Ernst Neugebauer
Die jüdische Familie Hirsch flüchtete 1936 ins Ausland. Das genaue Datum der Flucht, die genauen Umstände und das Ziel sind nicht bekannt. Das Vermögen wurde enteignet (sog. Arisierung) und die Firma in „Fränkische Weinessig- und Konservenfabrik“ umbenannt. Ob eine Entschädigung für die Enteignung nach dem Krieg erfolgte, ist ebenfalls derzeit nicht bekannt.
Nach dem Krieg erfolgte 1955 die Umbenennung in Firma Gritto. Die Firma Gritto bestand bis zum 30.04.1962. Zum 01.05.1962 erfolgte die Übernahme durch die Firma Kühne.
Im Rahmen von Aufräumarbeiten in den 1990er Jahren bei der Firma Kühne kam der Tresor der Firma Hirsch zu Tage. Herr Neugebauer rettete den ungeöffneten Tresor vor der Entsorgung. Später gelang die Öffnung des Safes. Im Safe befanden sich insbesondere Dokumente, die bei der Flucht von Familie Hirsch zurückgelassen wurden. Einzelne Unterlagen werden nachfolgend beschrieben.
Dokumente der Firma und Familie Hirsch
Vereinsausweis Jüdischer Verein in Schweinfurt
Herr und Frau Hirsch waren Mitglied im jüdischen Verein in der Kurt-Wessel-Str. 13.
Im September 1936 wurde die letzte Beitragsmarke im Ausweis für den jüdischen Sportverein eingeklebt.
Die Oktobermarke fehlt, da die Familie Hirsch in diesem Monat die Flucht ins Ausland antreten musste.
Ausweis Hans Hirsch:
Ausweis Ruth Hirsch:
Buch zur Aufzeichnung der Privatentnahmen (Privates Kassenbuch)
Beschriftung: „PRIVATENTNAHMEN vom 1. JAN. 1933 bis“
Eine Frau Ruth Hilde Jakobowik, geb. am 13.07.1915 in Stuttgart, Staatsangehörigkeit: staatenlos, war als Haushälterin seit 2. März 1936 angestellt.
Auch einige Belege finden sich im Kassenbuch.
Ein Hinweis auf die wahrscheinliche Dramatik der Flucht spiegelt dieses Büchlein wider. Die Eintragungen in diesem Buch enden abrupt am 19.10.1936.
Personalbuch mit ABC-Register
Es enthält sehr viele Namenseintragungen. Teilweise ist das Eintritts- und Austrittsdatum angegeben. Es dürfte sich um Saisson-Beschäftigte der Firma Hirsch handeln.
Rezepte
Original-Rezept der Firma Hirsch ist die „Hirschgurke“, die erste saure Gurke.
In den Unterlagen finden sich Rezepte der unterschiedlichsten Produkte. Die Rezepte betreffen Kräuterlikör, Zwetschgenkonserven und Produkte der Körperpflege.
Die maschinengeschriebenen Rezepte zu Körperpflegeprodukten tragen im Briefkopf den Namen Hans Hirsch und sind überschrieben mit Salol-Mundwasser, Fichtennadel Badetabletten, Eau de Cologne Nr. 50 (Typ 4711), Portugal Haarwasser, Birken Haarwasser I, III und schäumend.
Weitere Dokumente / Schicksal der Familie Hirsch
Offensichtlich war der Tresor auch nach der Flucht der Familie Hirsch in Benutzung. Es befinden sich nämlich noch weitere Unterlagen mit Hinweisen auf spätere Zeitpunkte (1937 bis 1942) im Tresor.
Diese Unterlagen werden unter der Firma „Fränkische Weinessig- und Konservenfabriken“ bzw. „Gritto“ beschrieben.
Die Aufarbeitung der Familiengeschichte Hirsch wäre eine dankbare Aufgabe. Eine Möglichkeit dazu besteht – nach Meinung von Herrn Neugebauer - über das Jüdische Zentrum Berlin.
Bisher ist nur ein einziger Hinweis zu verzeichnen, der mit der Familie Hirsch zu tun haben könnte. Es handelt sich um ein Schreiben vom 3. November 1950 einer Firma Glaser, Crandell Co, Chicago (mit Hinweis auf Everbest and Derby Products) an die Firma Fränkische Weinessig & Konservenfabriken G.m.b.H. Im Brief wird um Auskunft über einen Herrn Heinrich Stoerkel aus Schweinfurt gebeten, der sich nach Auskunft des U.S. Department of Labor in Amerika befindet. Der Brief ist unterzeichnet von Harry G. Hirsch General Superintendent.
Wer ist Harry G. Hirsch? Wurde die Familie Hirsch für den Verlust der Firma entschädigt? Wohin ist die Familie Hirsch geflüchtet? Gibt es Nachkommen der Familie Hirsch? Wer kann Auskunft zur Familiengeschichte geben?
Bitte teilen Sie Ihre Kenntnisse an Gerhard Fiedler mit (Telefon: 09721-21814 / Email: fiedler.gerhard@gmx.de
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