Denkzeichen an der Stadtmauer – Biografisches Gedenkbuch erinnert an 75 von den Nazis ermordete Schweinfurter Jüdinnen und Juden
Zurückblicken ist wichtiger denn je
Die Initiative gegen das Vergessen Schweinfurt setzt sich seit langer Zeit mit der Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Schweinfurt auseinander. Mit dem Projekt Denkzeichen wird an die 75 von den Nazis im Zweiten Weltkrieg deportierten und ermordeten Schweinfurter Jüdinnen und Juden erinnert.
Das Erinnerungsprojekt besteht aus zwei Teilen: Eine von der Bildhauerin Steff Bauer in Kooperation mit Diplomingenieur Sven Knobling geschaffene Kunstinstallation an der Stadtmauer im Châteaudun-Park (Innenseite), an der man die Namen der 75 Opfer und ihre wichtigen Lebensdaten lesen kann. Und dem von Johanna Bonengel und Hannes Helferich von der Initiative gegen das Vergessen verfassten Gedenkbuch „Sie lebten mitten unter uns“. Es vertieft die Lebenslinien der ermordeten Menschen.
Die Installation ist am 10. November 2024, am 86. Jahrestag des Pogroms in Schweinfurt, mit einer Feier am Stadtmauer-Standort an die Bürger der Stadt übergeben worden. Hauptredner Ludwig Spaenle, Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung, verdeutlichte dabei, dass der Antisemitismus in Deutschland wieder allgegenwärtig ist. „Wenn Menschen sich wieder fürchten müssen, weil sie Juden sind und angegangen werden, dann ist das Erinnern wichtig," sagte der ehemalige Bayerische Kultusminister.
Für Antje Yael Deusel, Rabbinerin aus Bamberg, steht der neu geschaffene Gedenkort symbolisch für die Jüdinnen und Juden, die einst gewaltsam aus der örtlichen Stadtgesellschaft gerissen wurden, nachdem sich ihre Mitmenschen zuvor von ihnen abgewandt hatten. „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gleichgültig“, sagte sie. Für die Initiative erklärte Sprecherin Johanna Bonengel: „Wir wollen nicht schweigen, wir wollen erinnern". Sie verdeutlichte auch, dass „wir viel Herzblut in die Arbeit gesteckt haben". Das Projekt der Schweinfurter Initiative, die sich seit mehr 40 Jahren mit der Zeit des Nationalsozialismus in Schweinfurt auseinandersetzt, ist von zahlreichen Stiftungen und Einzelspenden zahlloser Bürger finanziert worden.
Die Patenschaft für den Denkort übernehmen die städtischen Walter-Rathenau-Schulen, deren Schulleiterin Kerstin Petz bei der Übergabefeier vor allem in Richtung AfD und rechter Tendenzen sagte: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen". Die Schülerin Amelie Glück beeindruckte mit einem Gedicht (am Ende dieses Beitrags) und einem nachhaltigen Redebeitrag.
Das biografische Erinnerungsbuch wurde viel beachtet schon Ende Oktober in der Disharmonie vorgestellt. Es beleuchtet die Geschichte der Juden in Schweinfurt und erzählt insbesondere die Lebensgeschichten der 75 Schweinfurter Jüdinnen und Juden, die von den Nationalsozialisten verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Die Denkzeichen geben den Menschen, die Bürger Schweinfurts waren, ihre Würde und ihre Identität zurück. In einer Zeit des grassierenden Antisemitismus ist das Zurückblicken wichtiger denn je.
Das reich bebilderte Erinnerungsbuch, das von Werner Enke gestaltet wurde – auch er gehört der Initiative an – ist im Buchhandel und in der Disharmonie erhältlich.
Cover des biografischen Gedenkbuches
Foto: Werner Enke, Initiative gegen das Vergessen
Strahlende Schatten
von Amelie Lior Glück
In einer Stadt, in grauem Schatten,
Wo Hoffnung starb in kalter Nacht,
Die Schreie von Verdammten hallten,
In Herzen, die kein Licht mehr wacht.
Die Straßen spürten schlaffe Füße,
Gebrochen von des Terrors Last,
Die Augen voller Angst und Schmerzen,
Ein Schicksal, das man niemals fasst.
Die Fenster blind, die Türen kahl,
Verboten war der Atemzug,
Im Bann des Hasses und der Qual,
Wo Leben aus war, wie im Flug.
Verfolgt, gejagt, zu Staub verdammt,
Ein Volk, dem keine Gnade blühte,
Die Kinderwangen bleich und lahm,
Wo Zukunft in der Asche glühte.
Die Menschen drängten sich zusammen,
In Kellern, Höhlen, still und bang,
Ein Flüstern nur, ein leises Stammeln,
Der Freiheit letzter, ferner Klang.
In manch einem war der Wunsch zu fliehen,
In fremde Länder, fern und weit,
Doch jene, die es anders wollten,
Erlösten sich vom langen Leid.
Ein letzter Blick, ein stilles Flehen,
Ein Lebensende vor der Zeit,
Die Hoffnung sank, das Herz im Sehnen,
Nach Frieden, der so furchtbar weit.
Und dennoch, in den tiefsten Nöten,
Erwachte Mut, der Widerstand,
Ein Glimmen unter kalten Böden,
Ein Funke, der das Dunkel fand.
So stand im Leid, im tiefsten Elend,
Ein Zeichen auf, das niemals bricht,
Die Seelen stark, die Herzen Helden,
Im Kampf für Menschlichkeit und Licht.
In einer Stadt, wo Schatten wichen,
Wo endlich neue Hoffnung blüht,
Wird man der Opfer stets gedenken.
Ihr Erbe, das die Zeit durchzieht.
Nun steh‘ ich hier an diesem Ort,
Suche sie und sehe nichts,
Spüre aber hier und dort,
Die alten Schatten dieses Lichts.
Das Licht, das heute so hell strahlt,
Ward damals ganz erloschen.
Die Zukunft wirkte nur noch kalt,
Doch heut‘ lässt sie uns hoffen.
Die Zukunft, ja sie birgt so viel,
Erlaubt uns einen großen Schritt,
Zurückzublicken und zu lernen,
Ein kleiner Schritt, um den ich bitt‘.