Schwere Zeiten
aus: Bayernheft Nr.21 Schweinfurt und Haßgau
Quelle: J.G. Seger
Der Fremdling hielt sein Pferd jäh an und beantwortete die Frage des etwas zerlumpten Stadtknechtes, der aus der Wachstube trat:" Jeronimo Aleman, (Anmerkung: klingt wie deutscher Apatsche), Hauptmann im Dienste Seiner Hispanischen Majestät!" Der Knecht riss Mund und Augen weit auf und rief: "Reitet nur zu, Herr Hauptmann!" trat ein bisschen näher und flüsterte:"Im Schwanen steigt ab!-Dort seid Ihr gut aufgehoben" und hielt die breite Hand hin, worauf Jeronimo ein Geldstück hineinlegte und der Söldner schmunzelnd sagte:"Dieweilen Ihr mich durchaus zum Trinken verleiten wollt, muss ich Euch gehorchen."
Das lächelte Jeronimo Aleman und ritt weiter. Er sah zur Rechten, sah zur Linken, schüttelte den Kopf, dass die Regentropfen vom Hute wirbelten und sah wieder nach dieser, bald nach jener
Seite. Mauerreste, notdürftig gedeckte Erdgeschosse, neue Häuser, leere Hofstätten wechselten miteinander. Je mehr er in die eigentliche alte Stadt hineinritt, desto mehr verschwanden die Ruinen,
desto zahlreicher waren die Neubauten. Aber wie stand doch in seiner Erinnerung das Bild der Spitalgasse mit so schönen, großen Anwesen! Und wie bettelhaft, wie hässlich nahm sich jetzt die Gasse
aus! Der entsetzliche Krieg hatte die Werke eines langen Freidens zerschlagen. Die Bewohner waren froh, wenn sie sich ein Dach über die Häupter errichten konnten.
"Oh, die arme Stadt!" seufzte er und blickte mit einem Male uberrascht auf den herrlichen Neubau des Rathauses, der, die Gasse gen Osten abschließend, sich an der Südseite des Marktes erhob
und den Stolz und das Selbstbewusstsein eines innerlich trotz aller Nöte des Markgräflerkrieges von 1553 ungebrochenen Bürgertums zu verkünden schien.
"Oh Du liebe, alte Stadt Schweinfurt!" jubelte er. "Wahrlich, das mache einer uns Deutschen nach! Eine Stadt, die zu Nichts zerschlagen ward, eine Bürgerschaft, der man das Allerletzte
geraubt hat, sie bauen, während noch überall die Spuren der erlittenen Leiden zu sehen sind, kaum zwanzig Jahre nach dem Unglück, solch ein Bauwerk! Und bin ich zehn Mal hispanischer Hauptmann,
hier, hier vor diesem Rathaus müsste ich mich in Grund und Boden hinein schämen, wenn ich was andres als bloß ein Deutscher sein wollte."
"Geh zu, Schimmel!" gebot er und ritt an den gaffenden Leuten und den behaglich auf der Gasse ihr Mittagsschläfchen haltenden Schweinen vorüber auf den Markt. Seine blauen Augen blickten
düster die Mühlgasse entlang. Noch sah er auf beiden Seiten zwischen neuen Gebäuden leere Schuttplätze. Aber der mächtige Torhüter, wie trutzig, zur Abwehr bereit, stand der vor ihm! Und wieder
fühlte er etwas wie Freude in sein Inneres zurückkehren.
Nun ritt er durch's Tor des "Schwanen" und wurde von dem wohlgenährten Wirte, dem er keine Not ansah, ehrfurchtsvoll begrüßt. Als er diesem gar Stand und Namen angab, vermochte der Wirt vor
Ergebung sich kaum mehr aufzurichten und sagte im singenden heimatlichen Tonfall:"Euer Gnaden treffen es gut. Denn der Herr Bürgermeister und die Ratsherren sitzen bei mir, um sich von ihren
Regierungsgeschäften zu erfrischen. Ich will also gleich Euer Gnaden zu ihnen geleiten.
Ein paar Minuten danach, nachdem Jeronimo sich vorgestellt hatte und der Wirt seinen kostbaren Silberbecher mit Wein vor ihn hingestellt hatte, legte der Hauptmann die Finger der Rechten um
den Fuß des Bechers und sprach: "Ich trinke auf das Wohl von Bürgermeister und Rat und auf dass dieser schönen, von so schweren Drangsalen heimgesuchten Reichsstadt!"
Da ging ein Strahlen voll Stolzes über der Ratsherren Gesichter, so etwa, wie wenn der Vollmond vor Behagen sein Antlitz zu einem breiten, pausbäckigen Lachen verzöge. Und nachdem man
getrunken hatte, riefen sie durcheinander ihm zu:"Was sagt Ihr zu unserem Rathaus, Hauptmann? Was zu unserer Kirche? Zu unserem Mühltor? Zu Peter Junghannsens neuem Haus? Zu unsern Mühleseln? Zu
Wolf Krämers neuer Scheuer?"
"Der liebe Gott hat Euch bleiben lassen, wie eure Väter waren," dachte Jeronimo Aleman und sagte laut: "Gott und die Franken bringt niemand zum Wanken!" - "Ist schier ein Wunder," rief Wolf
Krämer mit einem piepfenden Stimmlein, "dass wir das liebe Schweinfurt wieder aufrichten konnten. Haben es fast dem lieben Gott nachgemacht, der auch aus dem Nichts die Welt geschaffen." "Nur nit
so vollkommen, Vetter Wolf," warf ein Graukopf trocken ein, "dieweilen du deine Scheune nur mit zwei Mauern aufgestellt hast." - Ein Lachen folgte den Worten und der Bürgermeister sagte erklärend
zu Jeronimo: "Er hat nur die Vorder- und die Hinterseite aufmauern lassen; rechts und links benutzte er die Mauern zweier Nachbarhäuser. Es geht das freilich nit recht an. Aber in solch schweren
Zeitläufen drückt man ein Auge zu."
Da auf einmal sprang ein zehnjähriger Junge ins Herrentrinkstüblein und rief keck, wie es ihm eingelernt worden war: " 'nen schönen Gruß von der Frau Bürgermeisterin, und es wäre jetzt ein
Uhr vorüber, und das Essen wäre längst fertig." Da leerte sich das Herrentrinkstübchen im Handumdrehen und Jeronimo Aleman saß und aß allein.
Aus "Der Fremdling aus der neuen Welt", J.G. Seger