Rückert in Schweinfurt

von Agnes Willms-Wildermuth

aus: Bayernheft Nr.21 Schweinfurt und Haßgau

Friedrich Rückert war zehn Jahre alt. In ihm erwachte die Lust zu wandern. Die Eltern fanden, dass diese Reiselust nicht unberechtigt sei. So sandte man ihn denn auf längeren Besuch zu der Großmutter nach Schweinfurt, bei der er sonst immer nur mit Mutter und Geschwistern auf einen Tag oder über ein Familienfest gewesen war.

Die Großmutter freute sich sehr, den ältesten Enkel über die ganzen Ferien bei sich behalten zu dürfen, und empfing ihn mit einem tüchtigen Imbiss. Dann sollte er sich zu ihr setzen und ihr erzählen. Aber dazu hatte der große Reisende keine Ruhe; kaum war er gestärkt und ausgeruht, so ging er aus, die Merkwürdigkeiten der Stadt zu sehen. Zuerst ihr Wahrzeichen: das Schwein an der Rathauseinfahrt. Es war nur aus Versehen ein solches geworden - eigentlich hätte der Bildhauer ein Lamm aushauen sollen. So kam die Stadt ohne ihre Schuld zu dem unschönen Namen Schweinfurt.

Dann ging's ans Mühltor. Dort war die steinerne Eule, von der Mutter sagte, dass sie auf die Frage: "Was machst Du?" - "Nichts!" antwortete. - "Was machst Du, Eule?" rief der Knabe hinauf - und wirklich! - sie antwortete nichts. - Dann sah er sich nach der Mühle um, die doch ans Mühlentor gehört und fragte einen vorübergehenden Stadtsoldaten danach. "Nur ein Narr fragt hier nach den Mühlen, die stehen ja am Brückentor," erwiderte dieser grob. " Dann müsste das Brückentor aber Mühlentor heißen," sagte der kluge Friedrich. "Naseweis, Du!" schreit ihn der Soldat an, "dann hätte es ja zwei Namen und dies gar keinen!" -

" Und da sagt man, Stadtleute seien gescheit!" denkt Friedrich und schlendert mit verächtlichem Achselzucken zum Tor hinaus. Die blühenden Holunderbüsche dort muten ihn heimatlich an, flink klettert er hinauf, um sich einen großen Busch der weißen Dolden zu pflücken. Davon soll Großmutter ihm Holderküchlein backen.

Aber er ist nicht in Oberlauringen, wo des Herrn Amtmanns Söhne freie Weide haben. - Als er mit seiner Beute herabsteigen will, sieht er sich plötzlich von bewaffneter Macht umzingelt. Sieben Soldaten der freien Stadt Schweinfurt - darunter sein Freund von vorhin - stehen mit blitzenden Speeren vor seiner grünen Feste. Freidrich möchte es gern für Spaß nehmen, aber die Sache sieht verzweifelt ernsthaft aus. "Herunter mit Dir, Du Straßenräuber, Du hast uns in die Wachtstube zu folgen! Du bist Gefangener!" tönt's ihm siebenfach entgegen. - Schwül, recht schwül ward es nun dem armen Friedrich auf seinem lustigen Sitz. Er, seines Vaters Sohn, von sieben Soldaten festgenommen und durch die Stadt geschleppt, ein Gefangener, wie er so manchem schon voll Mitleid und Verachtung nachgesehen! Wie konnt' er solche Schmach überleben!

"Marsch, herunter!" schreien die Soldaten und zitternd, mühsam die hervorquellenden Tränen verschluckend, schickt er sich an, dem Befehl der Sieben Folge zu leisten.

"Was gibt es denn da?" ertönt plötzlich eine befehlende Stimme, und gewichtig schreitet der Wachtmeister, der Schurrengeneral, stolz heran, um zu sehen, welch wichtigen Fang seine sieben Soldaten getan haben. Er wird sofort von der Bosheit des Hollunderdiebs, des Einbrechers im reichsstädtischen Grüns unterrichtet und blickt streng zu dem Verbrecher empor. Zum Glück erkennt er in diesem des Amtmanns von Oberlauringen Sohn, bei dessen Vater er schon dienstlich zu tun hatte. - "Den lasst nur laufen, der weiß es nicht besser!" befiehlt er und gibt Friedrich einen derben Puff, dass er vollends vom Baum herunterfliegt.

"Hast en' schönen Gang gemacht, Friedrich?" fragt die Großmutter den Enkel bei seiner Rückkehr. "Heim will ich wieder, Großmutter!" erklärt dieser kurzweg und lässt sich durch kein Bitten und Versprechen von diesem Vorsatz abbringen. Es ist ihm erst wieder wohl, als er am andern Tag wieder ungestraft auf den Bäumen der Oberlauringer herumklettern kann. Es geht nichts über die ländliche Freiheit!

 

Agnes Willms-Wildermuth aus: "Friedrich Rückert"