Der Wassernix vom Schwarzen Loch
Ganz unten auf dem Grund des stillen Sees soll er sein verstecktes Wasserschloß haben. Der graubärtige Alte kommt aber nur selten an die Oberfläche und lässt sich kaum sehen, denn er hasst die Menschen, die seine Ruhe stören.Wer ihn einmal im dichten Schilf erblickt, erschrickt vor seinem strengen Gesicht, das von den wie Haarsträhnen darüber hängenden Schlingpflanzen entstellt ist. Er lässt niemanden in sein verborgenes Reich eindringen. Wer es dennoch wagt, ist unrettbar verloren und kommt niemehr zum Vorschein. Denn das schwarze Loch ist unergründlich tief. Es gefriert auch im kältesten Winter nicht zu.
Einmal verirrte sich ein Reiter, kam vom Wege ab und der Nix zog ihn lautlos mitsamt seinem Pferde in die unheimliche Tiefe. Manche behaupten, sie hätten seine Gestalt noch aufrecht auf dem Rosse sitzend am scheinbaren Grunde des Wassers gesehen.
Der Wassernix hütet streng alle Geheimnisse um das Schwarze Loch. Ein Sennfelder Fischer wollte eines Tages die Tiefe des Sees ergründen. Er hielt einen Fährbaum senkrecht in das Wasser, wo es am dunkelsten ist, band einen zweiten daran und schließlich noch einen dritten und stieß dennoch nicht auf Grund. Grimmig lächelte der Wassermann, als der Fischer am nächsten Tage wieder kam. Da ließ er von seinem Schelch (Anm.: Als Schelch bezeichnet man historische, früher auf dem Main übliche Schiffstypen mit ungedecktem Laderaum und einer Länge von 12 bis 20 m) eine schwere Bleikugel hinab, die an einem großen Knäuel Schnur befestigt war. Der Knäuel wurde kleiner und kleiner, die Schnur leif zu Ende und der Grund war wieder nicht erreicht. Es war ein großes Glück, dass er die Schnur losließ, denn der Wassernix hätte den Fischer sonst daran in die Tiefe gezogen. Die Leute, denen er davon erzählte, meinten sogar, das Schwarze Loch sei mit der Nordsee oder gar dem Schwarzen Meer in Verbindung.
Die einzige Freude des alten Nix sind seine Töchter. wenn es ganz ruhig ist, lässt er die manchmal an die Oberfläche. Dann tauchen die Wasserjungfrauen ohne jeden Laut aus
dem See empor und kämmen im Sonnenschein zuerst ihr langes blondes Haar. Einsame Wanderer haben sie schon mehrfach zwischen dem Schilf am Ufer auf der weichen Moosdecke ruhend beobachtet. Sie
lauschen dann mit Wohlgefallen dem melodischen Gesang der Nachtigallen, sehen den von Wasserrose zu Wasserrose gaukelnden Libellen zu oder den in ihrem Revier auf- und niedertauchenden
Wasserhühnchen. Ihre wunderbare Schönheit und ihr üppiges blondes Haar kann niemand vergessen, der sie jemals gesehen. Sobald aber der Wassernix merkt, dass ein Mensch in die Nähe kommt, schickt
er seine Töchter mit einem gräßlichen Fluch in die Tiefe. In der Dämmerung lauert dann der alte Nix und es ist keinem geraten, zu nahe ans Ufer zu treten.