Das Hexenbrünnlein
Am Hexenbrünnlein gibt es schon lange keine Hexen mehr. Sie meiden sogar diesen Platz aus gutem Grunde und das kam so:
Im Dienste des Grafen von Henneberg stand einmal ein armer Köhler, der in den gräflichen Waldungen an der Mainleite Holzkohlen brannte. Er hatte nur ein einziges Töchterlein namens Heike, das mit ihm in den Wäldern lebte. Denn wie Heike sechs Jahre alt war, wurde ihre Mutter schwer krank und musste sterben. Vor ihrem Tode hing sie ihm ein geweihtes Medaillon um den Hals, ermahnte ihr Kind zu rechtem Gottesvertrauen und sagte: "Maria soll deine Schutzpatronin sein; suche nur immer Zuflucht bei ihr!" Und so wuchs Heike ganz allein bei ihrem Vater in der Waldeinsamkeit auf. Das Schicksal meinte es aber noch viel härter mit dem Mädchen. Eines Tages veranstaltete der Graf in den Wäldern eine große Jagd zu Ehren des Bischofs von Würzburg, an der auch Ratsherren der Reichsstadt Schweinfurt teilnahmen. Ein mächtiger Eber, der von einer Lanze verwundet war, rannte in Todesangst den Köhler zu Boden und verletzte ihn schwer. Obwohl der Graf den Schwerverwundeten sogleich auf seine Burg bringen ließ, starb er noch in derselben Nacht.
Heike wartete und wartete daheim auf ihen Vater. Als er nicht kam, ging sie in den wald und rief immer wieder seinen Namen. Aber niemand antwortete. So ging sie weiter und weiter und immer weiter, verlief sich jedoch und gelangte schließlich zum Hexenbrünnlein. Erschöpft ließ sie sich zu Boden fallen. Sie küsste noch rasch ihr Medaillon und schon war sie vor lauter Müdigkeit eingeschlafen.
Es war aber gerade Walpurgi. In dieser Nacht reiten alle Hexen auf ihrem Besen (30. April!) durch die Luft bis auf den Brocken, auf dem sie ein teuflisches Fest veranstalten. In unserer Gegend versammelten sie sich alljährlich im Höllental, wo es am engsten ist, und dann ging es hurrdihopp vorbei am Hexenbrünnlein und den Höllenbach aufwärts nach Norden. Dabei entdeckte eine der Hexen das schlafende Kind am Boden. "Ein Scheusal!" rief sie, "was wollen wir bloß mit dem anfangen, huii?" Eine wollte ihm schon mit dem Besen das Gesicht verkratzen. In diesem Augenblick trat der Mond aus den Wolken hervor. Er übeflutete das Antlitz des Mädchens, dass das Muttergottesbild an seinem Halse glänzte und leuchtete. Als dies die Hexen erblickten, brannte es in ihren Augen wie Feuer. Wie ein heulender Sturmwind jagten sie auf ihren Besen davon und ließen das Kind liegen.
Noch in der Nacht ließ die Gräfin das arme Köhlermädchen suchen, dessen Vater gestorben war. Mit Fackeln durchstöberten die Burgleute den Wald, aber sie konnten es nirgends finden. Da nahmen Jagdhunde die Suche auf. Endlich am Morgen fanden diese das noch ruhig schlafende Mädchen beim Hexenbrunnen. Die Gräfin nahm das Waisenkind zu sich nach Schloß Mainberg und ließ es dort wie ihr eigenes Töchterlein erziehen. Heike wurde das schönste Burgfräulein und machte ihren Pflegeeltern viel Freude.
Der Name Hexenbrünnlein aber ist bis zum heutigen Tag geblieben.